Die erste, breitere Bevölkerungsschicht
im mittleren Europa, die etwas von der Existenz des europäischen Zwergstaates im Nordatlantik erfuhr,
war die
der Fußballfans. Denn im Qualifikationsspiel zur EM 1992 schlugen am 12. September 1990 im
schwedischen Landskrona die kleinen Färöer-Inseln die hohen Herren aus Österreich mit
1:0 (60. Minute durch Nielsen). Die Fußballsensation war perfekt, und der damalige
österreichische Bundestrainer Hickersberger - den Düsseldorfern ja kein Unbekannter -
wurde entlassen. Trotz dieses spektakulären Sieges blieb es den färingischen Fußballern
unter Trainer Paly Guglaugsson dennoch versagt, nach der höchsten europäischen
Fußballkrone zu greifen. Die aber holte das dänische Mutterland, ebenfalls
sensationell... Aber das ist eine andere Geschichte.
Die Norrøna
stampft durch die scheinbar ruhige See. Von Hanstholm in Dänemark war
ich an Bord des Schiffes der
Smyril-Line ausgelaufen und steuere jetzt Tórshavn, die Hauptstadt auf den
Färöer-Inseln an. Die Färöer sind ein Zwischenstopp der Norrøna auf
dem Weg
nach Seydiskfjöður an der Ostküste Islands, dem Endpunkt der Passage. So
eröffnet sich mir die Möglichkeit, zweieinhalb Tage Einblick in eine interessante
Inselwelt zu nehmen.
Tórshavn ist fast 1.500 Kilometer
Luftlinie von Düsseldorf entfernt,
bis nach Island sind es noch rund 450 Kilometer.
Nebel in der
Stadt
Nach anderthalb Tagen auf See
erreiche ich den Archipel, welcher sich aus
achtzehn Inseln bildet. Es ist noch sehr früh morgens. Der Blick auf die Stadt
ist Nebel verhangen. Von Bord strömen die meisten der Passagiere. Sie
und ich wollen die zwei Tage nutzen bepackt mit Reiseführern, um die Färöer näher
kennen zu lernen, während die Norrøna Kurs auf die
Shetlands und Norwegen nimmt, um dann wieder zu den Färöer zurückzukehren.
In der Stadt ist es voll trotz der
frühen Stunde. Tags zuvor haben die Färinger das
Olavsøkan - das St.
Olafsfest,
gefeiert. Damit wird das Løgting - das Parlament nach der Sommerpause feierlich
eröffnet. Dieses Fest ist der alljährliche Höhepunkt für die rund 48.000
Inselbewohner. Praktisch alle Färinger haben ihre Dörfer verlassen und treffen sich auf
der größten Insel Streymoy in der Hauptstadt Tórshavn. Nach der
traditionellen Eröffnungsrede des Parlamentes stehen sportliche Wettkämpfe aller Art an.
Das Ruderrennen mit Booten im Stil der wikingischen Langschiffe bildet den Höhepunkt.
Färingischer Karneval
All
das kann ich leider nicht mehr erleben, da die Feierlichkeiten
praktisch mit der Ankunft der Norrøna vorüber sind. Die Zustände
jetzt in den Straßen ähneln denen in den
karnevalistischen Hochburgen an Rhein und Main nach den Rosenmontagsumzügen.
Die Fahrpläne der Busse unten am
Hafen sind schon drei Jahre alt, und die Touristeninformation öffnet erst um sieben
Uhr, so erfahre ich.
Ein bisschen hilflos irre ich durch die Stadt. Dabei verlaufe ich
mich in den kleinen, schmalen Gassen, weil die Färinger bis in die siebziger Jahre so gebaut haben, wie und wo
sie wollten. Erst danach wurde das Wie und Wo durch eine Baubehörde geregelt.
Die Anschlagwände mit den
veralteten Fahrplänen dienen offensichtlich auch als Werbeplattform für private
Anbieter. Einige
Annoncen
mit Fotos von Autos, Möbeln und Kinderwagen hängen auch an der Wand. Hoffentlich
sind diese Angebote aktueller. Auf den
Färöer-Inseln
scheint eben
die Zeit ab und an stehen zu bleiben.
Am Hafen hat eine
Mischung aus Kiosk, Kneipe und Schnellrestaurant geöffnet. Der Treffpunkt auf eine Tasse
Kaffee für mich oder ein Glas Bier für die Einheimischen. Dort geben die feiernden Färinger den ratlosen Reisenden
hilfreiche Hinweise.
Um Viertel vor neun soll ein Bus
losfahren, der mich in Richtung Norden nach Oyrabakki bringt, so lautet der Hinweis an der
Touristeninformation. Einige der Norrøna-Reisenden wollen nach Klaksvík auf Borðoy, andere
wie ich nach Oyndarfjøður
an der Nordküste von Eysturoy im Norden, wieder andere suchen eine Unterkunft im nebeligen Tórshavn
oder versuchen zu den Inseln Sandoy oder Suðuroy im Süden überzusetzen.
Gern besucht wird auch die Nordspitze der Insel Kunoy mit dem 829 Meter hohen Kap Kunoyarnakkur
oder der höchste Berg der Färöer, der Slættaratindur mit 882 Metern auf Eysturoy.
Langsam verlaufen sich die
Neuankömmlinge. Die Jeepfahrer - die meisten Fahrzeuge auf dem Autodeck der Norrøna
sind Allradfahrzeuge - erkunden mittlerweile das Terrain des ungefähr 400 Kilometer
langen Straßennetzes der Inselgruppe. Doch der angekündigte Bus kommt nicht. Heute ist nichts
nach Plan, Improvisation ist alles. Irgendwann finde ich irgendwo einen Bus nach Oyrabakki.
Die Fahrt geht los. Unterwegs wird der Fahrer per Telefon angerufen, weil ein Färinger
die Abfahrt verpasst hat. Kein Problem, der Bus wendet.
Die Sundbrücke bei Oyrabakki,
die die beiden größten Inseln Streymoy und Eysturoy verbindet, ist bald
erreicht. In vier Stunden fährt der nächste Bus von der dortigen Tankstelle in Richtung Oyndarfjøður.
Dass dabei ein großer Linienbus über die weiten Landstraßen durch Wind und Sonne, Regen
und Nebel fährt und nur ich als einziger Fahrgast an Bord bin, gehört gewiss
mit zu dem
hohen Lebensstandard auf den Färöer.
Der Bus fährt durch einen fast drei
Kilometer langen Tunnel, der nicht belüftet und beleuchtet wird. Für Fußgänger und
Fahrradfahrer ist die Durchquerung verboten. Die schweren, giftigen Abgase kriechen langsam
durch die Lüftung. „Nur keine Panne hier im Tunnel“, denke
ich leicht hüstelnd und bin froh, als der kleine Lichtpunkt in der tiefen Finsternis immer größer
wird, und das Tunnelende bald erreicht ist.
In Oyndarfjøður wohnt auch
der Busfahrer und parkt den Bus der Linie 441 neben seinem Haus, das zugleich die
Endhaltestelle ist. Die Jugendherberge Fjallsgarður am Ufer ist kaum belegt, nur
ein Auto mit Kölner Kennzeichen parkt vor dem Haus. Die
telefonische Zimmerreservierung von Dänemark aus hätte ich mir
sparen können.
Vollmond und
Ruhe
Von der Terrasse der Herberge
gleitet mein Blick über die Bucht Oyndarfjøður, der den gleichen Namen trägt wie das
Dorf. Die langsam sinkende Sonne zerteilt mit ihrem Licht und Schatten die steil
aufragenden angrenzenden Küsten. In den kühlen Wellen schwimmen die Zuchtbecken für die
durch das Wasser peitschende Lachse. Der Himmel ist blau und gleichzeitig mit dem
Verschwinden der Sonne taucht auf der anderen Seite der Vollmond auf. Das harte, helle
Licht der Sonne gleitet über in das kühle bestreichende Weiß des Mondes, das stählerne
Himmelblau wechselt ins dunkle Schwarz der Nacht. Über die Bergrücken zieht langsam der
fahle Nebel. Die nordische Ruhe breitet sich allmählich aus.
Der nächste Tag beginnt mit
goldenen Sonnenstrahlen. Die vielfältige Vogelwelt - und auch
deswegen zwangsläufig ich - erwachen zum Leben. Von den Hängen
rauschen die Sturzbäche, die sich alle hundert Meter durch den Tuff und Basalt in die
Berge einschneiden. Über die Bergkämme auf der anderen Fjordseite, wo das Dorf Hellur
liegt, quillt der Nebel, um wieder zu Boden zu sinken. Auf der anderen Seite des Berges
ist schlechtes Wetter.
Von
skoðða, pollamjørki
und mjørki
Auf den Färöer ist das Wetter immer unterschiedlich. Das Klima
ist maritim, also gemäßigt. Selbst der Nebel ist unterschiedlich in dieser Wanderzone
der Tiefdruckgebiete. Da gibt es den skoðða, der den Wanderer bei windigem Wetter
in den Bergen einhüllt; da gibt es den pollamjørki, der sich bei ruhigem Wetter
im Sommer wie ein Tuch zwischen die Berge auf Land und Meer legt; und da gibt es den mjørki,
der in Tórshavn den Blick verschleiert.
Der Verkehr zwischen den Inseln
läuft über die Schiffe der Fährgesellschaft Strandfaraskip Landsins oder auch
über die Linienhubschrauber namens Snípan oder Vípan. Fast alle
Ortschaften liegen an der zirka 1100 (!) kilometerlangen Küstenlinie. Durch die starke
Zergliederung der Inseln ist man nie weiter als fünf Kilometer vom Meer entfernt.
Während ich den langen, endlosen,
einsamen Landstraßen entlang wandere, werde ich von einem Austernfischer oder Tjaldur,
wie der Wappenvogel der Färöer heißt, attackiert. Ein Scheinangriff mit doch
dramatischen Elementen: der Tjaldur lenkt durch den Anflug
meine Aufmerksamkeit auf
sich und spielt dann den flügellahmen verletzten Vogel, um
mich dann als vermeintlichen Beutejäger
vom Nest im feuchten Gras abzulenken. Neben dem Austernfischer sind über 220 Vogelarten
auf den Färöer vertreten. Die größte Kolonie stellen im Sommer die brütenden
Papageientaucher, die als fyldte lunder auf mancher Speisekarte zu finden sind.
Wale und Mönche
Für viel Diskussion sorgt der
Walfang auf den Färöer, lese ich in meinen Reisebüchern. Dabei werden gesichtete Grindwalherden unter den Augen des grindeformænde,
des Walfangleiters, in seichte Buchten getrieben. Das Harpunieren ist verboten. Die zwei
bis sechs Meter langen Tiere werden mit einem speziellen Messer, dem grindaknivur,
getötet. Das Verteilen überwacht der sysselmand, der Verwaltungsbeamte, der auch
entscheidet, wann genug gefangen ist. Der Grind deckt ein Viertel des Fleischkonsums auf
den Inseln.
Die Färöer-Inseln sind vom 8.
Jahrhundert an besiedelt worden. Die ersten Einwohner waren Mönche wahrscheinlich aus
Irland, die dort ihr abgeschiedenes Leben führten und Schafe züchteten, die sie
mitgebracht hatten. Eine ständige Bedrohung waren für sie die wilden Wikingerschiffe,
die Ausschau nach lohnendem Raubgut hielten.
Von den Schafen haben die Färöer ihren
Namen her, denn Føroya (= Färöer) heißt übersetzt Schafsinseln. Heute gehören die
Schafe überall zum Landschaftsbild. Damit sie ihre Weidewiesen nicht verlassen, sind alle
paar hundert Meter in den Landstraßen statt der Asphaltdecke Eisenrohre in handbreitem Abstand
in den Boden eingelassen, die die Schafe nicht überqueren können.
Auf den Färöer
grasen rund 80.000 Schafe. Der gekochte Schafskopf zählt hier wie auch auf Island zur
besonderen Delikatesse. Die färingische Begeisterung für diese Delikatesse wird nicht
unbedingt von mir oder von ganz vielen europäischen Festlandbewohnern geteilt, die
wir das weiche gekochte
Schafshirn aus dem Schädel löffeln sollen. Die Geschmäcker können verschieden sein.
Mutterland Dänemark
Politisch
sind die Färöer an
Dänemark gebunden. Das hatte 1946 der
dänische König entschieden, der die Färöer-Inseln nach
fünfjähriger Trennung vom Mutterland trotz starker
Autonomiebestrebungen der Insulaner wieder einband. Dennoch
haben sie eine eigene Regierung, wie sie auch über eine
eigene Währung, ein eigenes Autokennzeichen und eigene
Briefmarken verfügen. Von dem EU-Markt sind sie abgekoppelt
und haben zum Schutz ihres eigenen Fischfanges - 95 Prozent
des Färöer-Exportes sind Fischereiprodukte - ihre
Fischereigrenzen auf 200 Seemeilen ausgeweitet.
Das
Gemeinschaftsleben wird gerne
und gut gepflegt in den Dörfern. Die Frauen treffen sich nachmittags und erzählen
Dorfgeschichten, während sie dabei stricken. Die Männer verabreden sich in den
sogenannten Clubs, die privat sind. Dort gibt es auch Hochprozentiges. Gerade, wenn die
Stürme über die Inseln hinwegtoben, wenn dann die Wasserfälle wieder zurückgedrückt
werden, und die Bäche die Berge hoch fliegen, dann schmeckt der Schnaps von de Danske
Snapsfabrikke doppelt so gut. Fremden ist der Zutritt in solchen Clubs nicht
gestattet.
Seit 1984 ist der Fernsehempfang dank der modernen Satellitentechnik möglich.
Bis dahin schlummerten die Nordatlantikbewohner fernab der europäischen Medienschlachten,
jetzt flimmert bei ihnen von Sport bis Mord das Weltgeschehen über die Bildschirme.
Seitdem , so erzählt mir ein Dorfbewohner in Oyndarfjøður, ist die färingische
Kriminalitätsrate rapide gestiegen.
Nach fast drei Tagen
sammeln sich
die Touristen wieder in Tórshavn, um wieder nach Island zu
blicken. Die Leute, die ich bis jetzt auf der Norrøna kennen
gelernt habe und ich, wir begrüßen uns wie alte Freunde. Unter
ihren ängstlichen Blicken werden ihre vollbepackte
Motorräder mit Seilen und Krankraft auf die Decks der Norrøna gehievt.
Irrläufer
Der
undurchsichtige mjørki lässt die Unerfahrenen und mich wieder durch die unübersichtlichen
Gassen und zum Hafen irren. Zwischen den Schiffen steht ein Franzose mit seiner Staffelei und malt die Fischerboote.
Er ist Dauergast hier und bleibt für einige Wochen. Seine Bilder haben etwas von der
geheimnisvollen Atmosphäre hier im Norden eingefangen. Schade, dass
sie für meinen Rucksack
zu groß sind. Er will aber auch nicht verkaufen.
Kaum hat die Norrøna
abgelegt und Nordkurs genommen, reißt die Nebelwand auf, und die Sonne überflutet mit
ihrem Licht die Decks. Der Kurs ist jetzt Island, das Schiff verabschiedet sich mit lautem
Tuten. In fünf Tagen legt am Anleger Bursatangi im Osthafen wieder die Norrøna
an, wieder mit neuen Passagieren an Bord, die hier wie ich und viele
andere auf ihrem Weg nach Island zweieinhalb
Tage Zwischenstopp einlegen, um die Färöer-Inseln kennenzulernen.
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