Norwegen
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Der Geirangerfjord.
 
Perlen westnorwegischer Landschaft

Geirangerfjord, Norangdalen, Hjørundfjord

Von den Schiffsmotoren vernimmt man zunehmendes Brummen, Beben erfasst den Schiffsrumpf, die Heckklappe geht nieder, an der Schiffsschraube schäumen weiße Strudel: langsam setzt sich MF Rinna in Bewegung, vergrößert ständig den Abstand zum Anleger in Geiranger, wo noch einige Urlauberautos am Warteplatz stehen, die für die Fahrpassage nach Hellesylt keinen Platz an Bord gefunden haben. Gleichzeitig mit uns hat ein Wasserflugzeug seine Nase in den Wind gedreht, den Propeller dröhnend in Gang gesetzt, der immer schnellere Umdrehungen macht, bis er schließlich dem Flugzeug genügend Kraft übertragen hat, da es sich steil in den wolkenlosen Sommerhimmel aufschwingen kann, um seinen Mitreisenden ein einmaliges Flugerlebnis über Berge, Gletscher, Seen und Fjorde im Vestland Norwegens zu ermöglichen.

Unsere Autofähre gleitet nun ruhig über den spiegelglatten Geirangerfjord. Die Decks sind voll besetzt, es ist kaum ein Platz an der Reeling zu ergattern; niemand möchte auch nur eine der landschaftlichen Sehenswürdigkeiten versäumen, die beiderseits des Schiffes vorbeiziehen.

Die 70minütige Fährfahrt durch den von steilen Bergen umrahmten weltbekannten Geirangerfjord ist Teil unserer heutigen Rundreise im norwegischen Fjordland. Schon früh am Morgen haben wir bei strahlendem Hochsommerwetter unser Quartier in Hopland am Innviksfjord verlassen, Stryn und den See Strynsvatn hinter uns gelassen, das Strynefjell nördlich umfahren, um am Langevatn auf den riksvei (Rv) 63 zu stoßen, um ihm in Richtung Geiranger zu folgen.

Nach wenigen hundert Metern erreichen wir die Grenze zwischen den fylker, Bezirken, Møre og Romsdal und Oppland, beziehungsweise den Gemeinden Geiranger und Skjåk. Die Gegend ist ungemein karg: Sträucher, Farne und Moose bilden die hauptsächliche Vegetation, Bäume gibt es hier oben in fast 1000 Meter Höhe nicht. Skjåk ist einer der niederschlagsärmsten Orte des ansonsten gut beregneten Norwegens. Die Niederschlagsmenge erreicht hier im Mittel kaum 300 Millimeter, was Verhältnissen in Steppengebieten Nordafrikas entspricht. An den Langevatn schließt sich Richtung Geiranger unmittelbar der Djupvatn an. Kaum ein Windzug ist zu verspüren, die Wasseroberfläche liegt glatt da. Im Wasser des Sees spiegeln sich die ihn umgebenden, schneebedeckten kahlen Felsen wider; über all dies wölbt sich ein tiefblauer Himmel, an dem auch nicht ein Wölkchen auszumachen ist. Dabei haben wir hier oben schon ganz andere Wetterverhältnisse erlebt: Regen, Schneeregen, Nebel, einen völlig vereisten See Djupvatn und schneebedeckte Berge; und das zur gleichen Jahreszeit.

Dalsnibba

Am nördlichen Ende des Sees liegt die Touristenstation Djupvasshytta, von der der fünf Kilometer lange Nibbeveien, eine mautpflichtige Straße, steil bergauf zum Dalsnibba führt. Dieser lange Anstieg verlangt dem Wagen einiges an Arbeit ab, doch dann stehen wir schließlich am Parkplatz mit Blick auf den tief unter uns liegenden Geirangerfjord mit dem traditionellen und von allen Nordland-Kreuzfahrtschiffen angelaufenen Touristenort Geiranger, ein einmaliges Panorama vor unseren Augen. Auf halber Strecke zwischen unserem Standort und dem Fjord liegt eine landwirtschaftlich genutzte Terrasse, die steil zum Meer hinunter abfällt. Der Fähranleger liegt von hier oben nicht im Blickfeld. Teils fast senkrecht erheben sich die Felswände aus dem Fjord und gehen in Berge über, die die 1000 Meter-Grenze teilweise überschreiten. Zahllos sind die Wasserfälle, die die Gefällstufen hinabstürzen. Nordwestlich des Ortes Geiranger wird unser Blick durch die elf Serpentinen des ørnesvingen, Adlerweg, angezogen, der von Åndalsnes kommend, den Norddalsfjord per Fährverbindung quert, um dann die letzten Kilometer nach Geiranger hinunter einen Höhenunterschied von genau 624 Meter zu überwinden. Dieser Weg wird ganzjährig freigehalten.

Klicken der Fotoapparate

Da wir heute noch einiges an Strecke vor uns haben, reißen wir uns schließlich von dem faszinierenden Anblick los und fahren wieder zur Djupvasshytta. Von hier aus windet sich die Straße in zahlreichen Haarnadelkurven in nur 15 Kilometer bis hinunter auf Meereshöhe. Teile der alten Straße, die sich noch abenteuerlicher, fast Furcht erregend schmal und unbefestigt früher zum Fjord hinunterschlängelte, sind noch heute zu erkennen. Zahllose Wohnmobile kommen uns entgegen vor allem mit deutschen Kennzeichen zählt doch diese Straße zu den von Touristen meist frequentierten Norwegens. Beim Panoramaparkplatz Flydalsjuvet, an der Teufelskanzel, hat man in 400 Meter Höhe eine einzigartige Aussicht über den Geirangerfjord. Diesen aus der schönsten Perspektive zu fotografieren, ist Ziel aller hier oben. So klicken unaufhörlich die Fotoapparate, surren die Videokameras. Natürlich halten auch wir hier und ärgern uns über die vielen anderen, die das gleiche tun. Auf Prospekten, die Geiranger abbilden, liegt immer ein Kreuzfahrtschiff im Fjord; heute nicht: solch eine Gemeinheit, und das bei diesem einmaligen Wetter. Was der Mensch aber kaum beeinflussen kann: Wie immer stürzen Wasserfälle über die grün schimmernden Fjordwände, glitzern Schneefelder im gleißenden Licht der strahlenden Sonne.

Geiranger ist einer der Hauptanziehungspunkte Norwegens. Der weltberühmte und einmalig schöne Fjord wird von fast jedem Nordlandreisenden besucht. Einen interessanten Kontrast bildet der lieblich grüne Talfleck der 300-Seelen-Gemeinde zu den steilen, imposanten Felsen. Ab Juni überschwemmen Touristen mit Privatwagen, Bussen und Passagiere der Kreuzfahrtschiffe den herrlich gelegenen Ort, der tagsüber viel von seiner Idylle einbüßt. Der Ort lebt von seinem Ruf und von der einzigartigen Lage. An der Passstraße ducken sich ursprüngliche Holzvillen in den Hang, dazwischen liegen die Hotels. Entlang der Uferpromenade reihen sich Andenkenläden und Imbisstuben, die vor allem in den letzten Jahren fast wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Vor dem Bau der serpentinenartigen Passstraßen, die sich an den steilen Felswänden emporziehen, war die Fährverbindung der einzige Zugang nach Geiranger, wollte man sich nicht den schmalen, steilen Wegen die Fjordwände empor anvertrauen.

Die sieben Schwestern und der Freier

Auf der bis auf den letzten Stellplatz mit Autos besetzten Fähre genießen wir die heutige Fjordfahrt Richtung Hellesylt am Sunnylvsfjord, einem Nebenarm des Storfjords. Langsam verschwindet der hinter uns liegende Ort Geiranger aus unseren Blicken, ziehen die zahlreich in den Fjord stürzenden Wasserfälle unsere Aufmerksamkeit auf sich. Von schmalen Rinnsalen bis zu breiten Strömen stürzen die Wasser die Gefällstufen herab. Weiter geht es den S-förmig gewundenen Fjord entlang, und dann erblicken wir ihn, den bekanntesten Wasserfall am Geirangerfjord: De syv søstre, Die sieben Schwestern. Mehrere hundert Meter stürzen sieben Wasserbänder in die Tiefe, je nach Wasserstand schwächer oder kräftiger. Manchmal hat sich auch eine der Schwestern auf einen Ausflug begeben, vielleicht zum Freier, Friaren, einem Wasserfall, der auf der gegenüberliegenden Fjordseite in die Tiefe stürzt. Besonders dann, wenn lange Trockenheit geherrscht hat, sind die Schwestern nicht vollzählig versammelt. Aber wir haben Glück: Heute sind alle zu Hause. Nicht weit von der Schulter des eiszeitlichen Trogtals entfernt, dort, wo Die Sieben Schwestern in den Fjord hinabstürzen, liegt Knivsflå, ein jetzt aufgelassener Bauernhof, in Schwindel erregender Höhe. Wie mag wohl in dieser exponierten Lage das alltägliche Leben früher verlaufen sein. Schon seit vielen Jahren haben die Besitzer dieses schwierige Unterfangen aufgegeben und den Hof verlassen. An den Ufern des Geirangerfjords und denen der Nachbarfjorde findet man daher zahlreiche, leer stehende Bauernhöfe. Auch Matvik ist ein solcher und liegt kurz vor der Einmündung des Geirangerfjords in den Sunnylvsfjord. Die Fähre biegt nun nach Südwesten in diesen ein und steuert Hellesylt an. Unter der 1141 Meter hohen Felswand Bjørnstigfjellet quetschen sich die Häuser des Ortes in den schmalen Ufersaum zwischen Bergen und Meer. Mitten im Zentrum stürzt der Fluss Langedalselva zu Tal und bildet einen breiten Wasserfall.

Vom Anleger verlassen wir auf dem riksvei 60 den Ort in westlicher Richtung. Schnell gewinnen wir an Höhe und erreichen nach wenigen Kilometern den Flecken Tryggestad, von dem aus wir den riksvei 655 nehmen, der uns zunächst durchs Nibbedalen und dann weiter ins Norangdalen führt und damit in eines der imposantesten Täler Norwegens, das deutlich durch den Kampf der Naturkräfte geprägt ist. Die Straße, die größtenteils als grusvei, Schotterstraße mit Splittbelag, angelegt ist, verläuft durch ausgeprägte Hochgebirgslandschaft in der Nähe zweier Fjorde und in einer Höhe von nur 300 bis 400 Meter, durch ein stilles, abseits gelegenes Setertal, von bis zu 1700 Meter hoch aufragenden, steilen Bergen eingerahmt. Von Tryggestad öffnet sich Nibbedalen nach Nord Westen; die zunächst hügelige Landschaft ändert ihr Aussehen allämhlich. Östlich der Straße liegt der vergleichsweise niedrige Berg Fivelstadnibba (1248 Meter NN), während sich westlich der mit Gletschern bedeckte Kvitegga (1705 Meter NN), einer der höchsten Gipfel der Region Sunnmøre, erhebt. Bald erreichen wir den Weiler Haugen und damit den Beginn des Norangdalen. Eine Jungmoräne verläuft quer durch das Tal und weist darauf hin, da die Gletscher von Kvitegga in der letzten Eiszeit viel tiefer herunterreichten als heute. Auf dem bisherigen Weg von Tryggestad sind wir schon an mehreren Seiten- und Endmoränen vorbeigekommen, die die Lage ehemaliger Gletscherzungen aufzeigen. Von Haugen kann man eine der lohnendsten Bergtouren, auf Kvitegga hinauf, unternehmen.

Eindrucksvolles Norangdal

Noch eindrucksvoller zeigt sich das bei Haugen beginnende Norangdal dem Besucher. Zunächst verläuft die Straße eben, dann bergab, dem Verlauf des Flusses, der seine Entstehung dem See Jelskredvatn verdankt, folgend. Den Talboden nehmen größtenteils Geröllmassen ein, die von Bergstrüzen herrühren, und nur von dünner Moosschicht bedeckt sind. Teils verschwindet der Flusslauf unter diesen Bergsturzmassen. Am See Urvatn liegt der höchstgelegene Seter des Norangdal, Häuser, die zum Schutz gegen hier häufig auftretende Lawinen in den Hang hineingebaut sind, so dass man sie aus der Entfernung nur schwer wahrnehmen kann. Einige, die aus Naturstein gebaut sind, weisen Spuren des Verfalls auf, andere deuten durch bauliche Veränderungsmaßnahmen daraufhin, da sie noch genutzt werden. Überall um uns herum lässt sich Geläut von Kuhglocken vernehmen. Man erblickt immer noch, weiter südlich im Tal gelegen, Kvitegga und gegen Norden den Berg Smørskredtind. Gegenüber, auf der östlichen Talseite zwischen äußerst steil abfallenden Wänden, nimmt man einen Taleinschnitt wahr, der durch schwierig zu bewältigendes Gelände den Übergang ins Hochtal Fagredalen und weiter nach Hellesylt beziehungsweise Stranda ermöglicht.

Das Tal wird nun enger, die Talwände immer steiler, besonders die westlichen, wo Staven wie eine lotrechte, pechschwarze und blank gescheuerte Steinmauer mit 1512 Meter in den Himmel aufragt; daneben der See Stavbergsvatn. Hier erreicht Norangdalen den Höhepunkt an Wildheit. Man sieht nur den dunklen Bergsee, die ewigen Schneefelder, einen schmalen Streifen Himmel und um uns herum nichts als steile, schwarze Bergwände, die sich scheinbar auf uns herabstürzen wollen. Bald folgt Lyngstylvatn, der erst durch einen Bergrutsch am 28.5.1908 entstanden ist, als sich Gesteinsmassen vom Keipen lösten, auf den Talboden herabstürzten und den Fluss zum heutigen See aufstauten. Gesteinsmaterial bis zu Häusergröße erfüllte das Tal. Auch 1926 ging ein solcher Bergsturz nieder, führte wie der Jahre zuvor aber auch nicht zu Personenschäden. Diese Bergstürze werden wohl nicht die letzten sein, ist doch das Gestein am Keipen durch Gletscherarbeit und Frostsprengung quasi aufgeweicht worden. Nach dieser Gefahrenstelle weitet sich Norangdalen, und die Straße nimmt nun einen ebenen Verlauf. Nach Überquerung der Brücke bei Skylstad erblicken wir am Straßenrand eine Gedenktafel, die an den Bergsteiger und Liebhaber Norwegens, C.W. Patchell, erinnert, der sich oftmals in Øye, im Herzen der Hochgebirgslandschaft um den imposanten Hjrundfjord, aufhielt. Øye, inmitten einer ausgeprägten Gipfellandschaft, lädt geradezu zu Bergtouren ein. Die Berge sind durchweg bei mäßigem Marschtempo innerhalb eines Tages hin und zurück zu besteigen. Im Habbastaddal liegt die Patchellhtte, die sich als Ausgangspunkt für Touren auf die umliegenden Gipfel bestens eignet. Von Øye sind es noch acht Kilometer, bis man den Fähranleger in Leknes erreicht. Dieser liegt an dem Fjord, der den gleichen Namen wie das zuvor durchfahrene Tal trägt. An seinem Nordufer entlang verläuft die Straße hin zum Anleger, von wo es über den Hjørundfjord hinüber nach Sæbø geht.

Hjørundfjord

Im Herzen von Sunnmøre erstreckt sich eine unbeschreiblich schöne Gebirgswelt, aus hohen, steilen, gezackten Gipfeln bestehend, die beeindruckendste Sehenswürdigkeit dieser Region. In diese einzigartige Bergwelt schneidet sich der Hjørundfjord ein, 36 Kilometer lang und durchschnittlich einige Kilometer breit. Er teilt diese Landschaft in zwei gleich große Hälften und wird auf beiden Seiten von einer gezackten Mauer lotrechter Bergwände begrenzt. So erhält der Fjord seine einzigartige, malerische Schönheit. Im Vergleich mit Hjørundfjorden scheinen andere Fjorde geradezu monoton und flach zu sein. Während die gesamte Gegend als Ganzes so überwältigend reich an Schönheit ist, da man glaubt, nie mit der Betrachtung zu einem Ende zu kommen, gibt es doch kaum einen anderen Ort in Norwegen, an dem selbst der kürzeste Aufenthalt so lohnend sein kann.

Fünfzehn Minuten dauert das übersetzen mit der Fähre. Danach nehmen wir die Straße durchs Bondalen und erreichen über den riksvei 655 die kleine Stadt Ørsta, einen zentralen Ort, der, da die meisten Geschäfte schon geschlossen haben, wie ausgestorben daliegt. Ein eigentliches Zentrum kann Ørsta nicht aufweisen, was die Trostlosigkeit noch steigert. Nach nicht allzu langer Fahrzeit folgt dann Volda, eine Stadt direkt am gleichnamigen Fjord mit attraktiver Fußgängerzone, gågate. Doch infolge Schließung der meisten Geschäfte ist auch hier kein pulsierendes Leben zu verspüren. Wir folgen nun dem riksvei 651, fahren am Voldafjord und dann am Austefjord entlang bis Austefjord, wo uns eine Straße unterster Ordnung, natürlich ein grusveg, aufnimmt. Dieser fast gänzlich vom Autoverkehr freien Straße folgen wir bis zur Fylkes-Grenze Møre og Romsdal/Sogn og Fjordane. Die Schotterstraße verläuft entlang mehrerer kleiner Seen unter anderem Osvatn, Grøndalsvatn durch ein enges, von dichtem Nadelwald bestandenes Tal. Einzige Ausnahme in dieser Einsamkeit sind der Campingplatz und die Jugendherberge in Kalvatn; eigentlich unerklärlich, warum sich gerade hier eine solche Konzentration von Beherbergungsmöglichkeiten befindet. Allerdings ist das Tal sehr anheimelnd. An der Fylkes-Grenze sind dann auch wieder als Zeichen stärkeren Fremdenverkehrs zahllose Hütten im Fjell verstreut; selbst eine Flutlichtanlage für eine Langlaufloipe ist vorhanden. Nun beginnt auch wieder die Zivilisation des Straßenverkehrs in Form von asphaltierter Straße. Hinunter geht es bis zum Hornindalsvatn, mit 514 Meter der tiefste Binnensee Europas, an seinem Südufer entlang ein Stück Richtung Nordfjordeid bis zum westlichen Ende des Sees und dann entlang der Straße zum Innviksfjord und zu unserem Quartier nach Hopland.

 

Autor: Klaus-Jürgen Fiacre, Düsseldorf, 1996
Mit freundlicher Genehmigung des NORDLAND FORUM

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