Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts wachsen die Anstrengungen,
den Nordpol zu erreichen. Da die Schiffe schon alle früh im
Eis scheitern, wird der Luftweg in Erwägung gezogen. Der
Amerikaner Commander Cheynes will drei Gasballone bauen,
jeder mit einer Tragkraft von einer Tonne und alle
miteinander verbunden. Damit soll der Nordpol in kurzer Zeit
zu bezwingen sein. Ein gewisser Kapitän Tysons beschreibt
im „New=York Herald“ seine Idee von leichten
Schiffen mit acht Personen Besatzung, die an Gasballonen
befestigt, den Pol erreichen sollen. Ein Herr Meydenbauer
aus Marburg denkt weniger an Pol und Ruhm, als dass er seine
Vorstellung äußert, seine Ballone aus verschiedenfarbigem
Papier zu konstruieren, mit Messgeräten auszustatten und
von unterschiedlichen Punkten auf der Erde starten zu
lassen. Sein Ziel ist es, so die globalen Windströmungen,
Luftdrucke und Temperaturen zu messen und diese Daten
weltweit zu sammeln. Diese Vorstellung wird damals als
wunderlich und als undurchführbar eingeschätzt... Aber
eine Ballonfahrt wird die Gemüter noch viele lange Jahre
beschäftigen: die Ballonfahrt der schwedischen Andrée-Expedition.
Im Jahr 1897,
mit einem Jahr Verspätung wegen ungünstiger Winde, startet
von Spitzbergen ein Gasballon mit dem Ziel des noch
unentdeckten Nordpols. Der Leiter dieses Unternehmens ist
der schwedische Ingenieur Salomon August Andrée (42) aus
dem kleinen, verträumten Gränna am Ufer des Vätternsees.
Seine Begleiter sind Knut Frænkel (27) aus Karlstad und
Nils Strindberg (24) aus Stockholm, ein Neffe des
Theaterdichters August Strindberg. Als am 11. Juli 1897 der
Ballon Ornen (Adler) von der Däneninsel auf Spitzbergen zu
seiner Nordpolfahrt aufsteigt, werden die drei Männer zum
letzten Mal lebend gesehen.
Im August des
Jahres 1930, also 33 Jahre später, landet das Robbenfängerschiff Bratvaag
an der Südküste Kvitö (oder auch Kitö oder Kvitøya
oder Weiße Insel), einer kleinen eisbedeckten Insel im Osten des Spitzbergen-Archipels. Zufällig finden die Robbenfänger dort einige Überreste
der Andrée-Expedition: die Leichen von Andrée und Strindberg, fotografisches
Material und die Tagebücher. Diese Entdeckung löst eine gigantische
Presseschlacht aus. Der Journalist Knut Stubbendorff wird im Auftrag von drei
Zeitungsredaktionen mit dem Schiff Isbjörn nach Kvitö
losgeschickt, um noch mehr Einzelheiten in Erfahrung zu bringen. Von dort kehrt
er im September wieder zurück. Sein wichtigster Fund ist der des Leichnams von
Frænkel. Die drei Toten werden unter großer Anteilnahme schließlich im
Oktober in Stockholm bestattet.
Detektivarbeit
Anhand der
Tagebücher, die zum großen Teil wieder lesbar gemacht werden können, lässt
sich die Rückkehr der Drei nach Spitzbergen fast minuziös rekonstruieren.
Demnach wird die Ballonhülle wahrscheinlich schon bei dem hektischen Start aus
dem Holzhangar auf Spitzbergen beschädigt (Die Ballonhülle bestand aus chinesischer Seide
mit 20 Metern Durchmesser und 2.800
Kubikmeter Volumen.). Die Schleppseile zur Steuerung
reißen. Die Männer schaffen es bald nicht mehr, den Ballon auf Höhe zu bringen.
Zum Gasverlust kommt die Vereisung der Hülle im Nebel. Das Gewicht nimmt dadurch
erheblich zu. Bereits einen Tag
nach dem Aufstieg schlägt die Gondel immer wieder auf das Packeis. Schließlich
bleibt nach nur
vier Tagen Fahrtdauer der Ornen auf 83 Grad nördliche Breite und 30 Grad
östliche Länge liegen. 480 Kilometer Luftlinie sind zurückgelegt Der Pol wartet
in fast 800 Kilometer immer noch auf seine Eroberung. Andrée schreibt
verzweifelt in sein Tagebuch: „Unser Ballon dreht und wendet sich seit dreizehn
Stunden unaufhörlich. Er möchte wieder frei schweben, aber es gelingt ihm nicht
mehr.“
Die Männer packen
die Sachen und beginnen eine fast zwölfwöchige Eiswanderung in Richtung Süden.
Ihre Nahrung besteht aus geschossenen Eisbären, Robben und Vögeln. Unter
unsäglichen Mühen gelangen sie am 5. Oktober 1897 an die Südwestküste der
zwischen Spitzbergen und Franz-Josef-Land gelegenen Insel Kvitö. Dort hören die Tagebucheintragungen
plötzlich auf. Fest steht nur, dass der
letzte Eintrag vom 17. Oktober 1897 stammt: „Nach Hause 7.05 Uhr
vormittags.“
Was auf Kvitö
geschah, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Eine Hütte zum Überwintern ist
nicht gebaut worden. Wollten sie die Nachbarinsel Nordostland erreichen, in der Hoffnung, dort auf Menschen
zu treffen. Oder planten sie einen südlicheren Weg zur belebten Westküste? Strindberg ist
wohl zuerst gestorben, denn er ist unter einem Steinhügel bestattet. Die
Leichen von Andrée und Frænkel lagen auf dem Boden. Nahrung, Brennstoff und
Munition war noch reichlich vorhanden. Doch woran waren die drei gestorben?
Fadenwürmer!
Erst in den
fünfziger Jahren untersuchte ein dänischer Arzt im Andrée-Museum die
Eisbärenknochen der erlegten Tiere. Dabei fand er Fadenwürmer. Das Fleisch war
folglich voller Trichinen gewesen! Dazu passt auch der Tagebucheintrag von
Andrée, der bei allen Dreien Schnupfen beobachtet hat, ohne jedoch die
wirkliche Ursache dafür zu kennen. Schnupfen gibt es nicht in der Arktis. Diese
Fadenwürmer durchbohren das Muskelgewebe ihres „Wirtskörpers“, bis
der Betroffene an hohem Fieber und vor Erschöpfung stirbt.
Während der
Luftfahrt warf Andrée fünf Bojen mit Nachrichten ab. Durch die Drift der Bojen
- zwei Bojen wurden bis nach Island getrieben - konnten wertvolle Erkenntnisse
über die Meeresströmungen gewonnen werden. Als aufschlussreich erwiesen sich
auch Andrées Beobachtungen über die Beschaffenheit des Packeises, die er
während der Eiswanderung gemacht hat. Geradezu kriminalistisch wurden die Funde
auf Kvitö untersucht. Allein die Entwicklung der 33 Jahre alten Filme ist mit
hohem wissenschaftlichen Aufwand betrieben worden.
Zu besichtigen
sind diese Funde in einem
Museum in Gränna, einem Städtchen am
Südostufer des Vätternsees, dem Heimatort von Salomon August Andrée. Auf
Spitzbergen auf der Däneninsel sind u. a. die Überreste der Hütten und des
Ballonhangars zu sehen. Die zerfallenen Bretter und die mittlerweile
zerborstenen Keramikbehälter für das Ballongas sind zum Kulturdenkmal erklärt
worden.
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