|
|
Auf den Spuren von Curt Biging |
Inari - eine Lapplandfahrt |
|
Einer der besten
deutschsprachigen Reiseberichte vom Inari-See und Lappland stammt
aus den 1920er Jahren. Der deutsche Arzt und Politiker
Curt Biging bereiste damals auf recht abenteuerliche Weise
den riesigen See in Lappland und berichtet von einem Leben
dort, wie es heute nicht mehr so anzutreffen ist. Die
NORDLANDSEITE besuchte einige Stationen seiner Reise heute
über 70 Jahre später.Auf den Vorseiten in dem Biging-Buch ist
das Denkmal „Die Schiffsbrüchigen“ von Robert Stigell (1898)
abgebildet, welches in Helsinki nahe dem Hafen auf dem „Observatorieberget“ zu sehen ist. Für Biging
steht dieses Denkmal für „Hals- und Beinbruch“.
Das hatte Biging auch dringend nötig zu einer Zeit, als es
noch keine GPS-Geräte und Mobiltelefone gab und er im
Sturm über das Meer der Samen irrte.
Anreise
Seine Reise
tritt Curt
Biging wahrscheinlich 1927
oder 1928 an, als er um die 40 Jahre alt ist. Seine Reiseerzählung
beginnt in Helsinki, und mit dem Zug fährt Biging nach
Rovaniemi:
„Die
händlerische Betriebsamkeit der Stadt wird am besten
dadurch illustriert, daß auf acht Einwohner ein Auto kommt.“ (S.
32)
„Zwei Autolinien
fahren gen Norden: die Post und die Lapinjuna (der
Lapplandzug). Beide führen ausgezeichnete Brockway-Wagen vom
Autobustyp ohne Decksitze. Die Federung ist gut, die Sitze
sind bequem, man übersteht die zwölfstündige Tour bis Ivalo
(295 Kilometer) ohne jede Unbehaglichkeit.“ (S. 33)
Von dem Rovaniemi, wie es Biging kennen
lernt, bleibt im 2. Weltkrieg nicht mehr viel übrig. Die deutsche Wehrmacht brennt die Stadt auf ihrem Rückzug
vom Norden nieder.
Flugzeug
Heute im 21. Jahrhundert wähle ich das
Flugzeug als Reisemittel und erreiche den Inari-See nach
wenigen Stunden vom Flughafen Düsseldorf aus mit einem
kurzen Zwischenstopp in Helsinki. Das Flugzeug hat ebenfalls
wie der Brockway-Wagen keine Decksitze. Darum bin ich
eigentlich recht froh. Aber bequem ist es drinnen trotzdem
nicht, weil es sehr eng ist. Nach fast vier Stunden reiner
Flugzeit bin ich erleichtert, aus der Konservenbüchse
wieder heil heraus zu kommen. Mein Gepäck wiegt rd. 30
Kilogramm. Biging dagegen reiste mit 135 Kilogramm schwerem Gepäck
- mit dabei ein Klepperboot für seine Fahrt über den
Inari-See.
Einige
Kilometer südlich vor dem Kirchdorf Inari beziehe ich eine
kleine Holzhütte bei „Pätilän Mökit“ auf Uruniemi. Bei meinen
weiteren Reisevorbereitungen hilft mir Sauli Pätilä, der
hier während der Sommermonate seine Eltern unterstützt.
Die Finnen
haben hier noch ihre eigenen Götter, aber dass gibt keiner
von ihnen zu. Der Götterchef ist Donnergott Ukko, und der hat
sogar eigene Inseln auf dem Inari-See!
|
|
Der
Inari-See vor über 70 Jahren
|
|
Curt Bigings erste Fahrt auf den Inari-See erfolgt von Ivalo aus.
Seine Karte hat „nur“ einen Maßstab von 1:400 000, während
ich eine im Maßstab von 1:50 000 benutzen kann. Auch habe
ich ein Mobiltelefon mit dabei – natürlich nur für den
Notfall. Auf ein GPS-Gerät verzichte ich. Statt dessen
orientiere ich mich in klassischer Form mit einem Wanderkompass, der keine
Batterien braucht. Das Biging-Kanu tausche ich mangels
Erfahrung gegen ein kleines Motorboot.
Grippe
Von Ivalo aus steuert Biging mit seinem
Klepperboot die Insel Mahlatti an und erkrankt dort an einer
fiebrigen Grippe. Nach drei Tagen erholt sich der
Inari-Paddler:
„(...)
der böse Geist vermag den Ansturm von Salizylsäure, Chinin
und Akonit nicht standhalten.“ (S. 45)
Bigings erstes Ziel ist das Kirchdorf
Inari. Auf der Fahrt dorthin erlebt er die Besonderheiten
des lappländischen Wetters. Eben noch will er ein Foto von
dem Wolkenschauspiel machen, im nächsten Augenblick wird
sein Boot von den Wellen fast umgeworfen. Im dichten Regen
kann er ans Ufer flüchten. Diese Bucht tauft er
„Rettungsbucht“.
Pfarrer und Thule
Im Kirchdorf Inari wird Biging von dem
Pfarrer Itkonen herzlich aufgenommen. Mit ihm fährt er
nordwärts nach „Thule“, dem Hof von Uno Vaenerberg - ein wohl damals bekannter Mann zwischen Ivalo
und Utsjoki, weil er dort die Post einsammelt und austeilt.
Für seine Botendienste benutzt Vaenerberg einen uralten
Ford:
„Man muß
nur einmal den Weg zwischen Ivalo und Inari gesehen haben,
um Respekt vor dem alten Klapperkasten zu bekommen. Ein
Wagen, der jahrelang fast tagtäglich diese Strecke
zurücklegt, ohne sich dabei in seine Bestandteile
aufzulösen, verdient aufrichtige Hochachtung.“ (S. 61)
Radwege auf der Landstraße
Die Landstraße Nr. 4
zwischen Inari und Ivalo ist mittlerweile gut
ausgebaut. Im Sommer 2002 haben sogar die Arbeiten
für einen Radweg entlang der viel befahrenen Landstraße
begonnen, der etwa vier Kilometer vor dem Kirchdorf beginnen
soll.
Meine Recherchen in Inari, etwas über
dieses sagenhafte Thule zu erfahren, bleiben leider erfolglos.
Eine Familie Vaenerberg ist hier nicht bekannt.
Auch die Busfahrer, die zwischen Utsjoki und dem Kirchdorf
pendeln, wissen nichts von diesem damaligen Postboten. Dabei
muss dieser Vaenerberg - oder auch Veneberg - einen großen
Hof etwa 15 Kilometer nördlich von Inari bei dem Ort
Kaamanen gehabt haben. Dieser Hof war wohl damals der
touristische Anziehungspunkt in Lappland, denn viele
Reisende suchten hier Rat und Hilfe.
(Im
Sommer 2004 traf ich in Kaamanen eine Großnichte und eine
Stieftochter Uno Vaenerbergs - Lesen Sie hier die Geschichte
auf dieser Internetseite [Link])
Finnischer Kaffee
Sauli
lädt mich zu einer Tasse Kaffee ein – es ist frischer
Bohnenkaffee. Sonst ist hier die Kaffeekultur, wie
eigentlich in ganz Skandinavien meiner Meinung nach eher
grauenvoll. Wer kennt sie nicht, die ewig erhitzen
braunfleckigen Glaskannen auf den Heizplatten neben den
Kassen an den Tankstellen, Hotels, Bars oder Restaurants.
Nur die Erinnerung an den heimischen Kaffee lässt mich
morgens endgültig wach werden, ansonsten bereitet mir der finnische
Kaffee Kopf-, Hals-, Mund- und Magenschmerzen. Aber der
finnische Kaffee ist - oder war zumindest - etwas Spezielles. Oft stecken die Finnen ein Zuckerstück in den
Mund und schlürfen dadurch ihren Kaffee:
„Kaffee
ist das Nationalheiligtum in Lappland. Selbst die Männer
trinken ihn mit Behagen, wenn sie nicht gerade einmal
heimlich destillieren oder geschmuggelten Schnaps erwischen.
Man kann nicht behaupten, daß der Kaffee, den man in
Lappland zu trinken bekommt, immer gut ist, aber rein ist er
auf jeden Fall. Die Frauen brennen ihn selbst, und dabei
kommt natürlich bisweilen ein recht merkwürdiges Aroma
zustande. Außerdem benutzen sie Kaffeemühlen, die offenbar
von den ersten Missionaren vor einigen hundert Jahren ins
Land gekommen sind und die Schärfe ihres Gebisses eingebüßt
haben. Die grobe Mahlung gestattet natürlich keine
gründliche Ausnützung des Kaffees, doch kaum wird eine
Hausfrau es wagen, einen Zusatz anzuwenden. Eine
Pfarrersfrau soll es einmal riskiert haben, als die Frauen
des Kirchspiels von ihr bewirtet wurden. Es hat Jahre
gedauert, bis die Frau sich rehabilitiert hatte. Auch ihres
Mannes guter Ruf war dahin, denn wie kann man zu einem
Pastor Vertrauen haben, dessen Frau sich nicht schämt, ihre
Gäste mit Kaffeezusatz zu betrügen. Das kommt gleich hinterm
Renntierstehlen.“ (S.
63f)
Fahrt über den Inari
Zurück von Thule wird Biging zu einer
Fahrt mit einem anderen „Postagenten“ entlang des
Inari-Sees eingeladen, um von dort dann weiter die 150
Kilometer zur Eismeerküste weiter zu reisen. Dabei
passieren sie u. a. eine Fischerhütte namens Tukha-Sammeli,
wo der Sandstrand dunkel violett schimmert. Rauchquarz, so
vermutet Biging auf Seite 75.
Fast genau auf dem 69. Breitengrad macht
die kleine Gesellschaft Halt neben einer idyllischen Bucht
mit einer wild romantischen Landschaft:
„Der Postmann
führt mich zu einem riesigem Felsblock, der alles überragt;
der Block liegt hohl auf kleinerem Felsen und bildet eine
natürliche Höhle. Er ist schon von weitem sichtbar und
stellt eine Landmarke dar, die keine Verwechslung
gestattet.“
(S. 76)
Einige Kilometer weiter rasten die Männer
zu einer Kaffeepause auf Akuniemi. Der Postmann erzählt von
einer „echten Lapinkota“ in der Nähe:
„(...)
und fahren zu einer Insel hinüber, die bei den Eingeborenen Akusaari heißt; auf der Karte trägt sie keine Bezeichnung.
Beim Landen kommt uns eine mittelalterliche Lappenmadam
entgegen. Es sieht wenig luxuriös hier aus, zerrissene
Netze sind ausgebreitet, verwahrloste Boote liegen herum. An
den abgebrochenen Zweigen von niedrigen Bäumen und
Sträuchern stecken getrocknete Fischköpfe; (...) und
glaube erst daß es sich um einen Aberglauben handele.
Später erfahre ich, daß diese Sitte einen sehr realen
ökonomischen Hintergrund hat; vor dem Winter werden diese
Fischköpfe eingesammelt, und man kocht aus ihnen eine Suppe,
die als Kraftfutter für das Vieh verwendet wird, um der
Nahrung der Tiere die nötigen Phosphate und Eiweißstoffe
zuzusetzen, weil das Wiesenheu wenig Bestandteile dieser Art
enthält.“
(S. 78)
Mit dem Fotoapparat macht Biging einige
Bilder:
„Ich
photographiere auch ihre Villa, einen etwa anderthalb Meter
hohen unterstandsähnlichen Bau aus schräggestellten
Knüppeln, die mit Erde beworfen sind. Innen steht ein
primitiver Kamin aus horizontalen geschichteten, flachen
Steinen, wie man ihn in allen Hütten dieser Gegend findet.
Der Fußboden, der mit dem Erdboden identisch ist, hat einen
Teppich aus zerschnittenen Zweigen. Außer einem Hocker ist
kein Unrat zu sehen, es hätte auch keinen Platz. Wo und wie
die Frau in diesem Loche schläft, weiß ich nicht; vermutlich
rollt sie sich wie ein Igel zusammen.“ (S. 78)
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Jetzt wurden sogar die Gleise überdacht.
|
... am Hafen von Helsinki. Im Hintergrund die Fähre FINNJET.
|
|
... Heute komfortabel, bald mit Radwegen beim Kirchdorf.
|
So einen Kamin gibt es noch im Museum Siida in Inari zu sehen.
|
... Grenzfluss zwischen Norwegen und Finnland
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Damals schien die Insel Ukkonkivi noch ziemlich kahl zu
sein.
|
|
|

Akusaari in den Zwanziger Jahren.
|

Die Lapinkota auf Akusaari. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Der
Inari-See heute
|
|
Von Sauli bekomme ich für meine Tour ein
Boot. Es ist ein rotbraun gestrichenes Holzboot, sehr gut
gepflegt und ausgestattet mit Ruder und einem
4-PS-Benzinmotor. Ein reiner Benzinmotor sei besser als ein
Motor, der mit Ölgemisch läuft, erklärt er mir. Außerdem
schlucke er viel weniger Kraftstoff.
Das Wetter ist sehr wechselhaft, als ich
in das Holzboot steige und meine Inarifahrt beginnen will.
Bei reichlich Wind und Wellen versuche ich ein Gefühl für die
Steuerung zu bekommen. Immer wieder knallt der Rumpf auf das
Wasser, und die Gischt spritzt mir ins Gesicht. Der Schutzgeist
des Wassers Ahti spielt mal wieder mit der Meerjungfrau
Vellamo.
Keine Fischerhütte
Nach einigen Kilometern taucht langsam die
Chefinsel Ukkonkivi vor mir auf. Doch das Wasser ist zu
unruhig, ich kann nicht anlegen. Gottvater Ukko gewährt mir
heute keine Audienz. So muss ich auf einen Blick von oben
auf den Inari-See verzichten.
Entlang des nördlichen
Ufers halte ich
mich. Den dunkel violetten Sandstrand mit der Fischerhütte Tukha-Sammeli kann ich aber auf meiner Fahrt in Richtung der
Insel Akusaari nirgends entdecken.
Das
lappländische ABC
Da der See
dort einige Untiefen hat, orientiere ich mich genau an den
Seezeichen – Buchstaben auf riesigen Holztafeln.
Gemächlich passiere ich die Lettern C, E und H. Bei J wird
es hektisch, denn eine schwarze Wolkenformation
steuert auf mich zu.
Die
nächste große Insel heißt Viimassaari. Zum Glück finde
ich in der Buchstabensuppe sofort eine Stelle zum Landen. In aller Eile
packe ich das Zelt aus, wickele die restlichen Sachen in
eine Plane, und schon schüttet es nach allen Kräften. Zwar
dauert der Regenguss nur eine halbe Stunde, doch er reicht
aus, um mein Boot halb mit Wasser zu füllen.
Bis zum
69. Breitengrad ist es nur noch eine kurze Fahrt. Auch finde
ich hier eine Bucht mit wild romantischer Landschaft. Doch
an der Landungsstelle ist ein großes Haus, wo ein paar
Männer herum laufen. Ich lege an und versuche ihnen, meine
Absicht zu erklären – den großen gut sichtbaren Felsen
zu finden. Doch die Leute sprechen nur finnisch und scheinen
sich über Besuch nicht so zu freuen. Also muss ich
unverrichteter Dinge wieder ablegen, aber nicht ohne vom Boot
aus das Ufer nach diesem markanten Biging-Stein abzusuchen.
Doch die Bäume sind viel zu groß, viel
zu dicht, ich kann nichts entdecken. Im Gegensatz zu den
kargen Baumwuchs auf den Fotos im Biging-Buch, stehe ich
hier einem mittlerweile dicht bewachsenen Urwald gegenüber.
Flaches Wasser
Wieder passiere ich das J und steuere auf
das K zu. Jetzt wird es spannend, denn meine Karte weist
eine enge Fahrrinne mit vielen Untiefen auf. Etwas Übung
sollte man bei diesem Navigieren durch die Seezeichen haben,
und die fehlt mir. Trotz des geringen Tiefganges meines
Bootes haut plötzlich die Schiffsschraube auf felsigem
Grund. Glück gehabt, es ist nichts passiert! Ich wische mir den Schweiß von der
Stirn. Wegen der rasanten Wolkenwechsel verlasse ich die
Buchstaben-Fahrtroute, die über größere freie
Wasserflächen führt. Die Nähe zum Ufer erscheint mir
sicherer.
Ein großer Fehler! Die nächste schwarze
Wolkenwand schiebt sich in meine Richtung. Eilig steuere ich zum
Ufer der Halbinsel Muurahaisniemi. Voller Schrecken muss ich
aber erkennen, dass die Wassertiefe hier sehr gering ist. Ich
kippe den Motor nach oben und versuche das Ufer mit
Muskelkraft und Ruder zu erreichen. Mittlerweile fängt es
an zu schütten. Endlich erreiche ich den Sandstrand.
Doch da der nächste Schreck: Es ist kein festes Land,
sondern eine matschige Sandaufschwemmung. Ein Zelt mitten im
Sumpf aufzubauen, ist eine ziemlich aussichtslose Sache,
denke ich, während sich die Tropfen in meinen Kragen
ergießen.
Zum Glück kann ich im Regen einen kleinen
Hügel in der Nähe ausmachen. Doch vorher muss das Boot aus
dem Wasser in den Matsch geschoben werden, da keine
Möglichkeit in der Nähe ist, es festzubinden. Was für eine
Plackerei im Regen. Zwei Mal wate ich durch Regen und Sumpf,
bis ich meine Sachen auf dem Hügel habe. Schnell steht das Zelt, und nass krieche ich hinein. Die
pechschwarzen Wolken versprechen kein baldiges Ende der
Wasserfluten. Der Regen wird undurchdringlich wie eine
Mauer. Ich werde fast taub von dem Trommeln der Regentropfen
auf meiner Zeltplane. Ukko Donnergott tobt ganz schön!
Sand, Sumpf und Ameisen
Während es schüttet, orientiere ich mich
auf der Landkarte. Die Linientypen weisen große Teile der
Halbinsel als „schwerbegehbares und unpassierbares
Moor“ aus. Nur da, wo ich jetzt sitze, ist klitzeklein
eine freie Fläche zu erkennen. Wieder Glück gehabt.
Weil es weiter
heftigst regnet,
beschließe ich, die Nacht hier zu verbringen. Morgen will
ich weiter nach Akusaari!
Die wärmende
Sonne weckt mich auf. Was heißt eigentlich Muurahaisniemi? In meinem kleinen Langenscheidt finde ich
die Antwort: Muurahai-nen bedeutet Ameisen,
also Ameisen-Halbinsel (-niemi = Halbinsel). Und
wirklich, ich sitze mitten auf einem riesigen Ameisenhaufen!
Aber ich habe schon wieder Glück, die Krabbeltiere sind nett
und lassen mich in Ruhe. Ein weiterer Blick aus dem Zelt,
das Boot ist noch da.
Meine nassen
Sachen lege ich zum Trocknen auf die Flechte. Die Ameisen
krabbeln unbeirrt über den Boden. Ich wate zum Boot, um es
näher an meinen Zeltplatz heranzuholen. Diesmal ist es fast
bis zum Rand mit Regenwasser voll gelaufen.
Nach der Schufterei stürze ich mich in
das erfrischende Inariwasser. Hier ist es fast wie an einem
Mittelmeerstrand, überall feiner Sand. Am Ufer und in den
Moorflächen liegen viele umgestürzte Bäume, die
irgendwann den starken Winden nachgeben mussten. Zwar habe
ich noch diverse Auseinandersetzungen mit beißenden
Bremsen, doch jetzt fühle ich mich fit für die Weiterfahrt.
Die Lapinkota auf Akusaari
Die Insel Akusaari liegt vor mir, das
Wetter ist herrlich. Ich schalte den Motor aus und rudere
die Insel entlang. Und wirklich, ich traue meinen Augen
nicht, am Ufer steht die von Biging beschriebene Lapinkota.
Allerdings stehen daneben mehrere neue Blockhäuser,
komfortabel ausgestattet mit Solarzellen auf den Dächern.
Kein Mensch ist zu sehen, also gehe ich an
Land. Ehrfürchtig stehe ich vor der Lapinkota, die sogar
mit der im Buch abgebildeten eine gewisse Ähnlichkeit
aufweist. Ich bin mir sicher, dass ist die Kota aus dem
Biging-Buch. Vielleicht haben die Finnen auch einen Gott der
Vergangenheit.
Die Neugier siegt, und ich
mache etwas, was ich sonst nie machen würde: Ich öffne die
nicht verriegelte Tür der kleinen Lehmhütte. Und meine
Illusion stürzt zusammen wie ein Kartenhaus. Die Hütte ist
leer, die Wände sind aus rechteckigen Betonsteinen. Darauf
ist von außen frisches Moos gelegt, wiederum gestützt von
kleineren Birkenholzstämmen, die garantiert keine 75 Jahre
alt sind. Das ist nicht die Bigingsche Hütte.
Trotzdem ist
es interessant, dass jemand hier eine Lapinkota
gebaut hat - vielleicht sogar in Gedenken an jene Samen, die
in den zwanziger Jahren auf Akusaari lebten, und die Biging
getroffen hatte.
Sprachloses Treffen
Mein Bootsmotor springt nicht
mehr an.
Ausgerechnet da passiert ein kleines Boot, in dem ein altes
Paar sitzt. Einige Zeit brauche ich zum
Verarbeiten dieser Szene, zum Vergleichen der Bilder in
meinem Kopf mit Szenen aus einem tollen Film über
den Inari-See. Das Paar im Boot müssen Maria und Karl Heinz
Kramberg sein. Ihre Lapplandfilme „Das andere
Licht“, „Lieber in Lappland“ und die „Verlobten vom Tränensee“ aus den siebziger und
neunziger Jahren sind bei vielen Inari-Reisenden gut
bekannt und werden häufiger in den Dritten Programmen und
den Kultursendern wiederholt. Sie bewohnen in der Nähe auf
dem Inari-See ein Blockhaus und kommen oft im Jahr für
längere Zeit her.
Und mein Motor streikt!
Welcher Gott, Gnom oder Kobold spukt denn ausgerechnet jetzt
in den Zylindern?
Bevor ich die Menschen im vorbei fahrenden
Boot richtig einordnen kann, sind sie auch schon außer
Rufweite. Das war mein Zusammentreffen mit den um die
achtzig (!)
Jahre alten Krambergs - die Kinder waren, als Curt Biging den
Inari-See befuhr.
Regenfluch(t)
Der Motor läuft immer noch nicht, und
eine neue schwarze Wolkenwand schiebt sich wieder über den
See. Eine kleine Bucht auf Akusaari kann ich mit Holzrudern
und Muskelkraft schnell
erreichen. Doch der Boden ist mit großen Moos bedeckten
Steinen übersät: keine Möglichkeit zum Zeltaufbau. Allerdings
habe ich wieder Glück. Die Regenwand biegt vorher in eine
andere Richtung ab und verschont mich diesmal.
In einer anderen Bucht auf Akusaari
beschließe ich, die Nacht zu verbringen. Auch hier ist der
Boden steinig und sumpfig. Bequem wird diese Nacht nicht.
Ich versuche mich im Fluchen, wie es die alten Finnen in
Bigings Buch in absoluter Perfektion können. Aber der
Himmel ist eigentlich zu schön, um zu fluchen. Fast um Mitternacht
verschwindet jetzt Ende Juli die Sonne unter dem Horizont.
Das spiegelglatte Wasser reflektiert scharf die roten
Wolken. Geist Ahti und Jungfrau Vellamo scheinen zu schlafen.
|
|
 |
Straßenszene in Kirkenes, 1920 |
(Foto:
Varanger Museum / SpareBank Nord-Norge 1, 1920) |
|
|
Schlechtes Wetter
Rote Wolken am Abendhimmel aber verheißen
nichts gutes, habe ich mal irgendwo gelesen. Nachts werde
ich von schlagenden Geräuschen wach. Mein Boot wird vom
unruhigen See gegen die Ufersteine geworfen. Um mich herum
ist dichter Nebel, und es ist lausig kalt. Hoffentlich nur
ein kurzes Intermezzo, denke ich, fluche, sichere das Boot und
versuche wieder einzuschlafen, was mir nur schlecht gelingt.
Am nächsten Morgen verzichte ich auf eine
Weiterfahrt gen Nordosten. Der See ist grau. Der Himmel ist
grau. Es regnet. Nur mit Sandalen und ohne Strümpfe sitze
ich fluchend in dem mit kalten Wasser halb überfluteten Boot. Meine
Wanderstiefel sind völlig durchnässt und eignen sich
momentan nicht mehr zum Tragen. Dafür läuft der Bootsmotor
heute
anstandslos. Ohne Fehl und Tadel passiere ich diesmal die
kritischen Buchstaben L, K, und J. Anscheinend bin ich der
einzige bei dem Wetter auf dem See.
Nach
stundenlanger feucht grauer Südwestfahrt erreiche ich
schließlich eine
kleine Insel mit guter Zelt- und Feuermöglichkeit; hier
konnte ich schon mal vor einigen Jahren Station machen.
Außerdem ist die Insel Suovasaaret in der Nähe, dort ist
eine autiotupa – eine Schutzhütte, falls das Wetter
schlimmer werden sollte.
Kaum aber lege ich an der Insel an, wird
das Wetter besser, die Sonne scheint. Das Fluchen scheint zu
wirken! Meine Sachen breite
ich zum Trocknen in der Sonne aus und genieße am Ufer bei einem Feuer
Tee und Tütennahrung. Endlich Erholung!
Eine herrliche
und überschaubare Insel! Hier möchte ich mir
etwas Entspannung gönnen und plane, die nächsten Tage zu
bleiben. Dann will ich weiter zu der großen Insel Hoikka
Petäjäsaari, einer weiteren Station in Bigings
Reisebericht.
Die Vögel
zwitschern, das Wasser plätschert, der Wind rauscht. Natur
pur. Aber dazwischen mischt sich ziemlich oft das Brummen
von Reijo Raumala. Reijo
Raumala ist kein Gott, aber trotzdem ein Herrscher - der
Herrscher der Lüfte über dem Inari-See. Mit
seinem blauweißen Wasserflugzeug knattert er mal wieder
über den See. Seit Anfang der siebziger Jahre fliegt er
Touristen über den Inari-See. Diesen Sommer schafft er
seinen 30.000sten Flug! Aber er fliegt nicht mehr lange für
andere, denn seine Fluglizenz läuft aus. Er wird langsam zu
alt.
Wettervorhersage
Am Nachmittag frage ich bei Sauli per SMS
nach dem Wetter für die nächsten Tage. Die
Antwort kommt prompt: „According the weather
forecast the next days should be 19-23 C, wind from west and
sunny. Some showers might occure.“
Kurze Regenschauer - Some showers might
occure, das schrieb ja Sauli - unterbrechen ab und zu
das schöne Wetter. Am Horizont kriechen Raupen gleich
schwere Wolken, aus denen fein und schwarz der Regen wie an
Schnüren niedergeht.
Bei meiner
Inselerkundung stelle ich fest, dass sich seit meinem ersten
Aufenthalt nichts verändert hat: Die Steine am Lagerfeuer
liegen immer noch so, wie ich sie vor sieben Jahren hin geschoben hatte. Unter einem Stein
finde ich auch eine –
nicht von mir - deponierte Gaskartusche, wieder.
Es folgt eine ruhige Nacht, ich freue mich
auf den nächsten Urlaubstag. Doch was verrät mir am Morgen
mein kleines Barometer? Der Luftdruck fällt ohne Ende und
immer schneller. Die Windrichtung wechselt plötzlich, jetzt
bläst er genau auf die Längsseite meines Zeltes. Unruhig blicke ich auf den schon leicht
brodelnden See. Zum Zeltabbau und zur Weiterfahrt nach Suovasaaret zur Hütte reicht es nicht mehr. Auch kann ich
das Zelt auf dem steinigen Untergrund nicht neu ausrichten.
Unwetter
Das Wasser wird immer wilder und der Wind
heftiger. Der Inari kocht. Ich kann mich nicht mehr auf den
Beinen halten und verkrieche mich ins Zelt. Hat Ukko
Donnergott mal wieder heftigen Ärger mit seiner Frau Rauni?
Dann
setzt der Regen ein. Wie eine weiße Dampfwalze rollt die Gischt über den See und schüttet sich bei stärkstem Wind
auf mein Zelt. Some showers might occure, echot es
durch meinen Kopf. Nicht nur das Regenwasser prasselt gegen
die Längsseite, sondern auch das aufgepeitschte Seewasser
wird zusätzlich von dem Sturm über die Insel gefegt und
drückt sich gegen die Lüftungsschlitze. Zu meinem
Entsetzen regnet es im Zelt! Vor Schreck vergesse ich das
Fluchen.
Die Isomatte schwimmt schon. Im nassesten
Sturm muss ich raus, um mit einer Folie die Zeltseite dicht zu
machen. Bei dem Wind keine leichte Aufgabe. Auch muss ich
das Zelt von außen an den Stangen festhalten, damit es
nicht wegknickt! Die Zeltstangen geben gefährlich nach. Auf
die Spannleinen rolle ich dicke Steine, weil die Heringe in
dem nassen Boden nicht mehr fassen. Da sind die zottigen
Gnome, die hier unter der Erde leben, über meinen Besuch aber ganz schön
sauer, dass sie meiner Behausung keinen Halt mehr geben
wollen. Jetzt fluche ich, so laut ich kann. Es hört mich
sowieso keiner...
So vergehen mehrere Stunden, bis der Sturm
endlich etwas nachlässt und ich wieder ins Zelt zurück
kriechen kann. Ich bin völlig fertig, durchnässt und heiser. Im
Zelt sieht es nicht viel anders aus. Endlich am Nachmittag beruhigt
sich langsam das Wetter. Der schlimmste Sturm ist vorbei.
Wieder
Flucht
Das Wetter am nächsten Morgen ist
immer noch schlecht. Dennoch riskiere ich die kurze
Bootspassage zur Hütte nach Suovasaaret und flüchte ich in
meinen völlig nassen Sachen. Das Zelt lasse ich stehen. Ziemlich
kühl ist es geworden. Dabei ziehen schwarzgraue Regenwolken über den
Himmel. Auf Suovasaaret habe ich Glück, denn die Schutzhütte
ist frei.
Am Nachmittag kommt
endlich wieder die Sonne
zum Vorschein. So kann ich meine feuchten Sachen trocknen, wage es sogar, meine
Hängematte zwischen zwei Birken zu spannen. Über
Mobiltelefon informiere ich Sauli über meinen neuen
Standort. Spontan lädt er mich zu einer Bootstour abends
ein. Das Ziel sei eine Höhle auf der Insel Korkia Maura, wo echtes Eis von der letzten Eiszeit sein soll!
Spuren der Eiszeit
Später am Abend taucht Sauli mit seiner
kleinen „Mücke“, seinem schnellen Sportboot auf. Mit dabei sind noch einige
Freunde von ihm. Der Schiffsrumpf der „Mücke“ ist
aus einem Polyesterguss, hinten dran hängt ein
50-PS-Motor. Gott Ilmarinen schenkt uns allerbestes Wetter: Der
See ist glatt, der Himmel blau, und wir hüpfen rasend
schnell über das Wasser in Richtung Eiszeit.
Auf Korkia
Maura müssen wir eine
kleine Wanderung machen, bis wir vor einer riesigen
Steinhalde stehen. Diese gigantischen Findlinge liegen hier
zu einem überdimensionalen Haufen zusammen geschoben, überall sind Spalten und Höhlen.
An einer markierten Stelle müssen wir klettern und kommen
so in das Innere des Steinlabyrinths. Zum Glück erleichtern
Holztreppen die Kletterei. Sauli hat eine große
Taschenlampe mit dabei.
Nach kurzer Zeit erreichen wir einen
Höhlenraum,
und wirklich - der Boden besteht aus Eis, aus wohl über
12.000 Jahre altem Eis! Die Fläche ist nicht besonders
groß, vielleicht einige Dutzend Quadratmeter, aber das
Gefühl auf Eis der letzten Eiszeit zu stehen, ist für mich
etwas besonderes. Die Dicke des Eises soll ungefähr 15
Meter betragen. Früher diente
diese Eishöhle den
Seesamen als Kühlschrank für ihr erlegtes Wild, heute
trinken hier Touristen eisgekühltes Lapin Kulta, wenn sie
welches mit dabei haben. Auch die anderen sind beeindruckt.
Nach einiger Zeit wird es uns eiskalt, und wir klettern
durch die Spalten zurück. Ob Biging von dieser Eishöhle
wusste?
Mondkartoffel
Währenddessen ist der
Mond aufgegangen und hängt wie eine riesige zerfurchte
Kartoffel dreiviertel voll über dem Horizont. So habe ich
den Mond noch nicht gesehen. Sauli wundert sich ein wenig
über meine Begeisterung. Über den abendlichen See flitzen
wir langsam zurück. Aber auch Biging ist von dem Mond über
Lappland beeindruckt:
„Einen Augenblick taucht im
Südosten einen riesengroßer gelber Mond aus den Wolken, baut
seine silberne Strahlenbrücke und verschwindet wieder.“
(S. 153)
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Jetzt wachsen viele Bäume auf der Insel von
Ukko Gottvater. |
|
Zelten auf der Ameiseninsel.,

... während das Boot zwischen umgestürzten
Bäumen fast im Sumpf versinkt. |
Die von mir vorgefundene Lapinkota auf
Akusaari. |
|
Mit dem Holzboot und 4 PS über den Inari. |
|
Ready For Take Off: der Inari-Pilot Reijo
Raumala. |
Essen am Lagerfeuer. |
Nach dem Unwetter ist alles nass! |
|
|
Vorsichtig geht Sauli über den Eispanzer
aus der letzten Eiszeit. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Ein Ladekai des Erzwerks in Kirkenes.
|
|
Steil fällt die Küste bei Pummanki zum Eismeer ab.
|
|
|
Der Wasserfall Menikkakoski im Paatsjoki.
|
|
|
Blick auf das Eismeer bei Pummanki. |
|
Zur
Eismeerküste
|
|
Lappenbeschreibung
Biging setzt seine Reise über Land gen
Norden weiter fort. Nicht gerade zimperlich beschreibt er
eine Samendame:
„Es
ist eine recht schmutzige Lappenhütte, es riecht darin nach
einer Mischung von saurer Milch, Hühnermist und
ungewaschenen Füßen. Ein krummes altes Lappenweib ist im
Zimmer, sie sieht aus wie die Hexe aus “Hänsel und
Gretel„, sie gehört sicherlich zu den Leuten, die
bloß zweimal in ihrem Erdenwallen gewaschen werden: das erstemal von der Hebamme, das zweitemal
von der Leichenfrau. Aber damit übertreibe ich sicher, so
oft kommt diese alte Dame bestimmt nicht mit Waschwasser in
Berührung. Trotzdem ist sie eine nette Frau.“
(S. 87)
Erzwerk und Streik
Über
Neiden kommt er nach Kirkenes. Dort streikt schon seit einem
Vierteljahr die Belegschaft des Erzwerkes, des
Hauptarbeitgebers der Region:
„Die
einzigen Leute, die hier wirklich arbeiten sind die Arbeiter
des Erzwerkes (...) Man kann leicht ausrechnen, wie viele
Leute nichts tun, denn der Ort zählt 3000 Einwohner, von
denen in Zeiten guter Konjunktur höchstens 1000 bis 1200 für
das Werk tätig sein können; in Wirklichkeit ist diese Ziffer
wohl noch nie erreicht worden.“ (S. 119)
Die
Arbeiter wollen einen Tarifvertrag, die Arbeitgeber lehnen
dies aus Rentabilitätsgründen ab. Durch die soziale
Gesetzgebung in Norwegen haben die Arbeiter einen langen
Atem, auch geht es in der Stadt ruhig zu.
Nach 1945
herrscht dann in Europa eine große Nachfrage nach Eisenerz,
Kirkenes wird zum Boomtown - die Erzgruben von Bjørnevatn
bescheren der Stadt bis in die achtziger Jahre goldene
Zeiten. Doch es kommt zur Rezession. Die Belegschaft der Sydvaranger
AS sinkt von 1.200 auf 300 Beschäftigte. 1996 werden
die Gruben still gelegt.
Im August
1997 erlebt Kirkenes noch einmal eine volle Stadt, alle Gästebetten
sind belegt. Aber es sind die Geier, die sich um das Aas
streiten: Der komplette Maschinenpark der Erzgruben wird
versteigert, aus der ganzen Welt kommen die Bieter. Aktuell
(2003) geht das Gerücht, ob die Gruben übernommen werden. Es
bleibt spannend in der Region.
Gefährliches
Spucken
Kritisch
betrachtet der Mediziner Biging die Gesundheitsverhältnisse in
Kirkenes:
„Es
herrscht viel Rheumatismus, und seit der Industrialisierung der
Gegend haben auch Geschlechtskrankheiten stärkere Verbreitung
gefunden. Die Tuberkulose ist ein häufiger Gast. Namentlich
werden die Lungen befallen, doch auch Knochenaffektionen sind
keine Seltenheit. (...) sind die Hauptursachen Spucken auf den
Fußboden und andere Unsauberkeiten, schlechte soziale
Verhältnisse, Mangel an Aufklärung.“ (S. 122)
Reise auf die
Fischerhalbinsel
Biging
reist von Kirkenes weiter erneut nach Finnland ein. Jetzt
ist er an der Eismeerküste am Petsamofjord. Petsamo (heute
Petschenga) ist eine von Finnland verwaltete neutrale Zone
und der einzige eisfreie Hafen. Im 2. Weltkrieg verliert
Finnland das Gebiet im Norden an Russland.
Mit Skepsis sieht Biging die vom Menschen
verursachten Schäden an der nordischen Natur:
„Selbst
mit diesen kümmerlichen Vegetationsresten [Birkenwald] hat
die Bevölkerung Raubbau betrieben und namentlich in der Nähe
der Siedlungen alles weggehackt., was sie zum Brennen
brauchen konnte. Da der Zuwachs der Birke sehr langsam
geschieht und nicht mit der Abholzung Schritt halten konnte,
ist die Fischerhalbinsel heute eine öde Fläche.“ (S.
127)
Bigings
Visionen zu Petsamo werden sich später nicht erfüllen:
„Dieser
eisfreie Hafen kann für Finnland noch einmal große
Bedeutung bekommen. (...) Wenn Finnland erst so weit ist,
die Eisenbahn von Rovaniemi bis ans Eismeer zu führen, und
wenn der Handel aus Nordsibirien so weit ist, daß er eine
regelmäßige Küstenschiffahrt verlohnt, dann kann Petsamo
für den europäischen Handel eine wichtige Umschlagstelle
werden. Der Ausbau der Eisenbahn würde die Schaffung eines
Nordexpreß möglich machen, so daß man imstande wäre, die
Strecke von Genua bis zum Eismeer in ununterbrochener Fahrt
mit der Eisenbahn zurückzulegen.“ (S. 124)
Kurz und
knapp ist seine Beschreibung von der Insel Heinäsaaret:
„Sie
ist ein großes flaches Eiland, nur wenige Hütten und ein
Leuchtturm stehen drauf. Zur Brutzeit nisten hier ungeheure
Mengen von Seevögeln. Am Strand liegt zur Zeit der Ebbe ein
breiter Streifen von Tang bloß. Es stinkt
kannibalisch, und man muß beim Überschreiten dieser
glitschigen sehr aufpassen, daß man nicht lang hinschlägt.“ (S. 127)
Bei
Pummanki wandert und klettert Biging in der Gegend umher bis
zu einem Punkt, den er „Höhe 263“ nennt:
„Ist im
Inneren von Lappland die vorherrschende Farbe des Himmels
und der Erde in der Abendbeleuchtung goldiges Gelb, so wird
hier an der Eismeerküste alles in rosenrote und violette
Tinten getaucht. Weit erstreckt sich die leicht gewellte
Hochebene. Tief unten schwingen die gebogenen Küstenlinien,
im Nordwesten weitet sich die unabsehbare Fläche des
Eismeeres.“ (S. 129)
Biging
muss die Landschaft so intensiv beschreiben, denn er hat
seinen Fotoapparat auf dem Schiff liegen gelassen und kann
folglich keine Fotos machen. Von der Ehrlichkeit der Finnen ist er
begeistert. In Rovaniemi muss er z. B. sein reichliches Gepäck am
Bahnhof unbeaufsichtigt lassen. Bei seiner späteren
Wiederkehr ist noch alles unversehrt da:
„Als
Scherz erzählt man sich, man könne in Finnland seine Uhr auf
der Chausee verlieren, und wenn man nach einem Jahr wieder
vorbei käme, hinge sie aufgezogen
am nächsten Baum.“ (S. 129)
Seinen
Fotoapparat bekommt er am nächsten Tag wieder.
Lapplands
Zauber
Mit der
Christianisierung in Lappland verschwand der Zauber aus Lappland,
der Urglaube musste dem Christentum weichen. Ukko Donnergott schmunzelt eigentlich nur darüber, er
kennt ja seine Finnen. Trotzdem fängt er an, sich doch ein
bisschen Sorgen zu machen. Biging zum Zauber:
„Heute
wird nicht mehr gezaubert, nur manchmal ganz heimlich, damit der
Pastor nichts davon erfährt. In jenen Zeiten waren die
magischen Kräfte weit stärker, damals, als man noch das
Opferholz an den heiligen Steinen aufrichtete, ein krummes Holz
von der Gestalt eines Bootskiels, das 'Geisterboot'. Wenn der
Götze ein lebendiges Opfer forderte, richtete man das Opferholz
auf, band das Tier daran und schlug ihm nach einer langen
feierlichen Rede mit der Axt den Schädel ein. Dann bestrich der
Zauberer Holz und Stein mit dem Blut, kochte das Fleisch,
schnitt es in Stücke, band es an Reiser und hing es ans Holz.
Mächtige Männer waren diese Zauberer, gefürchtet überall,
namentlich die Akkala-Lappen; zu ihnen veranstalteten sogar die
christlichen finnischen Bauern Wallfahrten. Eine alte Rune
warnte:
|
|
Reise
nimmer, mein Sohn, |
|
Ohne
Kenntnis des Zauberns, |
|
Ohne
Weisheitsbesitz, |
|
Zu
den Feuern der Nordsöhne, |
|
Zu
den Marken der Lappen, |
|
Sonst verzaubert dich dort der Lappe!“ (S.135) |
|
|
|
Wasserfälle und
Stromschnellen
Von Petsamo
aus kommend reist Biging wieder südwärts. Dabei passiert
er „zwei imposante Wasserfälle und Stromschnellen“
(S. 137), Maitokoski und Menikkakoski:
„Das Herumführen
der Boote um die Wasserfälle läßt genügend Zeit, die
donnernden Wunder zu betrachten. Namentlich die Menikkakoski
imponieren durch ihre Höhe und Breite, ungeheure
Wassermengen stürzen mit urweltlichem Brüllen über die
hohen Felsen. Die vielgerühmten Schnellen von Imatra
und Vallinkoski reichen nicht an dieses Schauspiel heran.“ (S. 138f)
Nach dieser Tour zur
Eismeerküste in das Petsamogebiet kehrt Biging zum Kirchdorf Inari zurück. Er
bereitet sein Faltboot für den Inari-See vor:
„(...) mein Zelt mit,
Zucker, Dörrobst, Knäckebrot, Maggisuppen, Photomaterial,
Schlafsack und Decke und einen Satz Reservewäsche.“ (S. 145)
An einem Montagmittag
legt Biging vom Kirchdorf ab und steuert die Insel Hoikka
Petäjäsaari an.
|
|
|
|
|
Touristen an den stillgelegten Erzgruben.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Bigings Reiseroute.
(Für eine größere Darstellung bitte das Bild anklicken.)
|
|
Die Einödkirche
|
Der verlassene Kirchenraum.
|
Hier saßen die Kirchgänger. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
 |
 |
Curt Biging
mit einem großen Lachs vor der Hütte auf
Hoika Petäjäsaari. |
Das Foto
ist im Buch spiegelverkehrt. |
|
Der Autor
an der selben Stelle mit leeren Händen und Hunger
auf Fisch! |
|
|
Robinson
auf dem Inari-See
|
|
Überlebensanzug und
Schutzhütte
So möchte
ich zum Ende meiner Reise die beschriebene Stelle in Bigings
Buch, die Insel Hoikka Petäjäsaari, aufsuchen und starte meinen launigen
4-PS-Motor. Allerdings ist mir
der finnische Wettergott mal wieder nicht wohl gesonnen. Über den
recht buckeligen See fahre
ich zur Insel Hoikka Petäjäsaari. Ein bunter
Überlebensanzug schützt mich vor Nässe und Kälte,
allerdings nicht gegen die Kopfschmerzen, die ich vom ewigen
Aufschlagen des Bootes auf das Wasser bekomme.
Zwischen den Inseln wird das Wasser
zwar ruhiger, aber die Untiefen verhindern eine schnellere Fahrt.
Endlich erreiche ich Hoikka Petäjäsaari. Hier war also
Curt Biging vor ungefähr 75 Jahren. Die autiotupa – die
Schutzhütte - steht immer noch; nur der Windfang scheint aus
neuerer Zeit.
Drinnen sind zwei Etagenbetten, ein Tisch
und ein Bollerofen. Einigermaßen ordentlich sieht es hier aus. An den
schwarz geräucherten Wänden finden sich viele Inschriften,
Namen mit Jahresabgaben. Trotz intensiver Suche keine
Signatur von Curt Biging. Die ältesten, die ich entdecken
kann, stammen zwar auch aus den zwanziger Jahren, aber es
sind finnische Namen:
„Man hat reichlich Auswahl zwischen
Poesie und Prosa, (...) denn die Sorte von Schriftstellerei (...) ist meist von
einer so robusten Art, daß sie zarten Gemütern nicht gerade
empfohlen werden kann.“
(S. 158)
Biging ist von der Hütte aber nicht
begeistert:
„In der Hütte
sieht aus wie im Schweinestall, der Tisch am Fenster klebt
vor Dreck. Brennholz und Reisig liegen im ganzen Raum
verstreut, fettiges Papier, ein paar undefinierbare Lumpen.
Vom Tisch ist ein Brett losgeschlagen, die obere der beiden
Schlafpritschen in der Ecke am Fenster besteht nur noch aus
einem Rahmen ohne Boden.“ (S.
148f)
Einige Tage bleibt Biging hier, reinigt
die Hütte und angelt kräftig Lachse:
„Alle Tage
Lachs wird einem auch über“ (S. 148)
Am Ufer sitze ich auf Holzbänken, die um
eine Feuerstelle herum aufgestellt sind. Der Blick ist
herrlich, aber es
fängt an zu regnen. Biging hat vor Ort mehr
Pech mit dem Wetter. Eines Tages fährt er zum Angeln hinaus; mit dabei hat er:
„(...) Karte, Kompaß,
Streichhölzer und ein paar Zigaretten.“ (S.
152)
Auf Höhe der Inselgruppe Silkasaari (Nicht
unter diesem Namen auf der Karte verzeichnet) holt
ihn ein heftiges Unwetter ein. Es wird finster um Biging:
„Es ist richtige Nacht, der See um
mich ist schwarz wie Tinte, von weißen Schaumkronen
geriffelt.“ (S. 153)
Ganz erschöpft
und immer noch gegen die Wellen kämpfend muss Biging am nächste
Morgen feststellen, dass er seine „Kräfte überschätzt und
den Sturm unterschätzt“ (S. 153)
hat. Er war davon überzeugt, dass er „die Sonne des
nächsten Tages nicht sehen würde.“ (S. 154).
Außerdem verliert er völlig die Orientierung.
Wie Biging später
erkennt, ist er im
Sturm bis an das westliche Festland getrieben worden.
Physisch und psychisch am Ende muss er gut acht Stunden bei
immer noch welligem See südwärts zurück paddeln.
„Des
Teufels Kochtopf“
Mit zwei deutschen Freunden, die ihn auf
Hoikka Petäjäsaari besuchen, verbringt Biging weitere
Tage in der Hütte. Aber das Wetter ist immer noch
erschreckend:
„Die Nacht ist finster, der Wind geht
nicht laut, aber durch die Stille der Dunkelheit hört man
von Norden das Getöse der Brandung wie das Gebrüll von
wilden Tieren. Es ist kein Geräusch, es ist ein Tönen, es
steckt etwas Organisches, Bewußtes, Drohendes darin, als
wären es nicht toter Stein und totes Wasser, die dieses
Tosen verursachen.“ (S. 160)
Die Rückfahrt nach Inari fasst Biging als
eine Fahrt durch des „Teufels Kochtopf“ (S.
162) zusammen. Auf jeden Fall freuen sich Biging und seine
Begleiter auf guten Rückenwind, als sie die Insel Ukko
passieren. Aber der Wettergott spielt ihnen hier wieder
einen Streich, eine totale Flaute setzt ein, und eine
mühselige Paddelei folgt. Abends im Dunkeln erreichen sie
endlich das Kirchdorf Inari.
|
|
Die Einödkirche
|
|
Biging will mit drei anderen deutschen
Reisenden die Einödkirche Pielpajärven Erämaakirkko,
nordöstlich vom Kirchdorf gelegen, besuchen. Kein Hinweis
in der Karte, kein Weg, keine Schilder deuten auf die
verlassene Einödkirche hin. Nach
stundenlangem Herumirren brechen die Wanderer den Versuch ab.
Dabei hat sich Biging zuvor gerühmt, die Einödkirche sogar
ohne Kompass zu finden:
„Wir waren an diesem Abend noch
höflicher zueinander als sonst, und wenn Männer in der
Wildnis ganz beängstigend höflich werden, ist das immer
ein Zeichen, daß das Pulverfaß offen steht.“
(S. 165)
Allein wagt Biging später einen neuen
Versuch und übernachtet in der Bucht Pielpavuono in der
Nähe der Einödkirche. Dort markiert er für spätere
Wanderer die Landungsstelle
und den Weg hinein in den Wald:
„Ohne genaue Angabe ist die
Stelle wirklich nicht zu finden.“
(S. 166)
Bunter Wanderweg
Bei schönstem Wetter lande ich in der
Bucht Pielpavuono. Bei einem schwarzen, rechteckigem und
Lastwagen großen Findling kann ich anlegen. Hier ist ein
Grillplatz eingerichtet, und eine finnische Familie brät
ihre frisch gefangenen Fische über dem flammenden Feuer.
In nordöstlicher Richtung
wandere ich los. Bei den vielen farbigen Markierungen beidseitig
des breit ausgetretenen Wanderweges werde ich fast
farbenblind, auch liegen lange schmale Holzplanken über die
sumpfigen Böden. Keine Möglichkeit sich zu verlaufen; die
Einödkirche scheint gut in das lokale Touristikangebot
eingebunden zu sein.
Der Fußmarsch dauert eine gute Stunde und
führt durch eine wunderschöne lappländische Landschaft,
von der auch Biging schwärmt:
„Der Weg nach der alten
Kirche gehört zu den schönsten Strecken der Gegend; das
Gelände ist hügelig, zahlreiche Seen sind in die weiten
Wälder eingebettet.“ (S. 166)
Der Wald ist
still. Einsam und allein
wandere ich durch die Tundralandschaft. Hinter einer Biegung
passiere ich eine alte Hütte, ein große Lichtung mit grünem
Gras und blauen Blumen schließt sich an. Und plötzlich am
Ende der Wiese sehe ich endlich die verlassene und über 340 Jahre
alte Einödkirche!
Auf dieser Lichtung trafen sich früher
die Leute vor dem Gottesdienst. Mittlerweile zerfallene
Gebäude zeugen noch von dem Gemeinschaftsleben. Die
hölzerne Einödkirche selbst aber sieht aus wie auf den Fotos im
Buch. Auf den ersten Blick hat sich hier nichts verändert,
braunschwarz sind die zerfaserten Holzplanken. Die Kirche
scheint in ihrer Bauweise eine Mischung aus den norwegischen
Stabskirchen und den orthodoxen Gotteshäusern Russlands zu
sein. Hier im
Urwald hat die Kirche eher etwas Unheimliches an sich.
Vielleicht ist das die Burg der Gnome?
Schreck in der Wildnis
Und prompt erschrecke ich mich hier in der
Einöde fast zu Tode: Urplötzlich taucht hinter mir eine
Gruppe junger Frauen auf. Touristinnen aus Neuseeland auf
der Durchreise. Ihre Sprache soll Englisch sein, ich
verstehe kein Wort. Nett, keck und weg sind sie.
Im Vorraum der Kirche hockt im dicken
Norweger-Pullover ein finnischer Junge lesend am Boden. Er
heißt Tatu, ist 16 Jahre alt und macht hier seinen
Ferienjob. Er verkauft Postkarten und Informationsmaterial
zur Kirche. Bezahlt wird er von der Gemeinde. Von ihm
erfahre ich, dass die Kirche in den achtziger Jahren des 19.
Jahrhunderts verlassen wurde, weil im Kirchdorf die neue
Kirche erbaut worden war. In dem Zustand fand sie Biging
dann etwa 50 Jahre später vor. Aber, das verrät mir Tatu,
die Kirche ist vor etwa 30 Jahren wieder restauriert worden
- mit viel Liebe zum Detail, wie ich anhand der
Holzmalereien im Kirchenraum erkennen kann.
Autogramme im Glockenturm
Wie viel Leute waren heute hier, möchte
ich wissen. Heute habe er mit mir 13 Leute registriert, zwei
Tage zuvor waren es sogar 88 Besucher, erzählt er. Ich
fotografiere die Kirche und klettere in den Glockenturm. Das
alte Holz im Gebälk ist hart wie Stein. Auch hier sind ganz viele Autogramme und Sprüche von
verewigungsfreudigen Menschen, die sogar mindestens bis 1897 zurückreichen
wie ich nach intensivem Studium feststellen kann. Aber wieder kein
verschnörkelter Curt Biging.
Es ist 18 Uhr. Tatu
macht Feierabend, packt seine Sachen,
winkt mir zu und
macht sich auf den Rückweg. Er geht den steinigen Waldweg in
südwestliche Richtung zum Kirchdorf zurück, bis zum
Zentrum immerhin etwa zehn Kilometer - bis zum Parkplatz
etwa fünf Kilometer. Jetzt stehe ich wieder
allein bei herrlichem Wetter in diesem herrlichen Wald. Auf
mich warten nur etwa drei Kilometer bis zu meinem Boot.
Morgen muss ich wieder in Ivalo sein, da mich mein Rückflug
wieder nach Deutschland bringt. Tschüss Inari, tschüss
Ukko Donnergott.
Abschied
„Bald bellt nahe ein Hund;
schon hörst du das Geschwätz der Menschen. Ein Auto stinkt
und schüttert. Übermorgen wird eine Lokomotive fauchen.“
(S. 171)
Hinter dir bleibt eine
lange, lange Nacht
und eine
große
SEHNSUCHT
(Schlusssatz in Curt
Biging, Inari –
Eine Lapplandfahrt, Büchergilde Gutenberg Berlin, 1930)
|
|
|
|
***
|
|
|
Epilog
|
|
Curt Bigings Reise ist hier zu Ende. Er
machte sie im Sommer etwa 1927 oder 1928. Geboren wurde er am 3. Januar 1887 in
Posen, praktizierte als Arzt und veröffentlichte mehrere
Bücher u. a. mit den Titeln „Tiere, Sonnen und Atome“
(1930), „Ruach der Tiger“ (1928) und „Deutsche Vorzeit - Deutsche Gegenwart“ (1933).
Nach dem 2. Weltkrieg wurde er 1946 der
erste frei gewählte Bürgermeister der Stadt Mölln und
gehörte der SPD-Fraktion im Kreistag des Herzogtum
Lauenburg an.
Er verstarb am 3. Oktober 1950 in Mölln.
***
Ein aufmerksamer Leser des Biging-Buches, Stefan
Zeltner aus der Schweiz, weist freundlicherweise auf weitere
Einzelheiten hin.
Auf Seite 100 in seiner
Ausgabe von 1930 steht:
„...aus altem
Zeitungspapier Zigaretten drehen; die vertrockneten
Pflanzenteile, die sie in die Hülsen wickeln, haben mit
Tabak nur das gemein, dass sie klein geschnitten sind. Ich
denke an den Stollen vor Verdun, aus dem ich rausgeworfen
werden sollte, weil ich ein ähnliches Kraut rauchte. Hier
würde die Mischung sichtlich als Delikatesse gewertet.“
Er schließt aus dieser Passage, dass Biging
während des ersten Weltkrieges bei Verdun gewesen sein
muss. Er geht davon aus, dass in Friedenszeiten sich kein
Normalsterblicher so lange in einem Stollen aufhalte, dass
er Lust verspüre, Zigaretten zu rauchen, um sich die Zeit zu
vertreiben - es sei denn, er wäre Bergarbeiter. Biging war
aber bekanntlich Arzt. Als der Krieg um Verdun am heftigsten
wütete, war Biging 29 Jahre alt. Es ist denkbar,
dass er als junger Arzt an der Front war.
Weiter steht auf Seite 133:
„In diesem einstmals
rein russischen Landstrich wohnen die Koltlappen, die im
Gegensatz zu Ihren anderen Stammesbrüdern
griechisch-katholisch sind. Die Mehrzahl ihrer Hütten als
Stall zu bezeichnen, hiesse das liebe Vieh beleidigen. Ich
bin nicht mäklig und habe mich im Kriege ebenso
gewissenhaft gelaust wie die anderen, ich bin auch nicht
ängstlich, aber in eine Koltlappenhütte habe ich mich
nicht hineingetraut. Die stets verschlossenen Fenster sind
an allen Fugen mit Papier verklebt, damit ja nichts von der
guten Luft da drinnen nach aussen entweicht. Der Berliner
hat für diese Sorte Wohnungskultur die schöne Formulierung:
Besser ein warmer Mief als ein kalter Ozon. Die Düfte in
diesen Gemächern müssen berauschend sein wie
Schmuggelschnaps. Ich entsinne mich noch mit Grausen
gewisser Bauernstuben im Schwarzwald, wo ich geraume Zeit
durch landärztliche Tätigkeit die Bevölkerung zu dezimieren
mich bestrebte.“
Curt Biging arbeitete eine geraume Zeit im Schwarzwald. In
dieser Zeit hat er wahrscheinlich auch den Abstecher nach München
gemacht, von wo der Passus über Hitler stammt:
„In Krunuuntupa ist hinreichend für Lektüre gesorgt. Mit
Bleistift geschriebene Dokumente auf den Holzwänden und
Pfosten legen Zeugnis für die schriftstellerische Begabung
der Eingeborenen ab. Man hat reichliche Auswahl zwischen
Poesie und Prosa, aber leider reichen meine finnischen
Sprachkenntnisse nicht weit genug, um den Inhalt der
Literaturdenkmäler zu entziffern. Hoffentlich steht die
Wandliteratur auf einer höheren Stufe als in München auf
dem Hauptbahnhof, wo das unkomplizierte, aber sinnige
bajuvarische Gemüt sich auf der Herrentoilette mit den
schlichten Wandsprüchen “Heil Hitler! Nieder mit
Ebert!„ begnügte.“ (Seite 158)
Der
letzte Satz ist übrigens in den späteren Auflagen
gestrichen worden.
Vielen Dank an Stefan Zeltner,
Trin in der Schweiz!
***
Von Curt Biging fand ich keine
weiteren konkreten Hinweise am Inari-See. Gerne hätte ich weiter geforscht, aber mein
Reisebudget erlaubte keine intensiveren Recherchen. Wegen des engen Zeitrahmens und meiner Unerfahrenheit im Umgang mit einem Kanu zog ich es vor, mit einem motorisierten Boot die Stellen auf dem Inari-See abzufahren.
Wenn Leser diesem Bericht
noch weitere Informationen hinzu fügen können, schreiben sie mir dies bitte mit
Nachweisnennung an meine E-Postadresse:
BigingInari@nordlandseite.de
***
Herzlichen Dank für ihre
Unterstützung bei den Recherchen zu dieser Geschichte:
Sauli Pätilä und seiner Familie,
im Feriendorf „Pätilän
Mökit“ auf Uruniemi bei
Inari
Tapani Lappalainen und seiner Frau
Pirjo, Inari
Stadtarchiv der Stadt
Mölln
***
Die
finnischen Götter beschreibt der Finne Arto Paasilinna in
seinem herrlichen Buch:
Der
Sohn des Donnergottes
Verlagsgruppe
Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach,
deutschsprachige Ausgabe 2001, im Original 1984 (WSOY,
Helsinki),
ISBN
3-404-92082-1
***
Das
Buch von Karl Heinz und Maria Kramberg ist neu aufgelegt
worden:
Lieber
in Lappland
Der
Winter auf der Fuchshalbinsel. Ein Experiment mit dem
möglichen Glück.
J.
Latka-Verlag Bonn, Überarbeitete Auflage 2002
ISBN
3-925068-57-0
***
Gelegentlich wird das
Biging-Buch
bei ebay angeboten,
auch ist es wie andere Biging-Titel bei abebooks
zu finden. Die 1. Auflage stammt von 1929, zuletzt wurde es 1934
aufgelegt. Inhaltlich gibt es einige Unterschiede zwischen den
Auflagen.
Als Vorlage
für diese Geschichte dient die Ausgabe von 1930.
|
Autor:
Th.
Bujack |
Alle
Schwarzweißfotos sind dem Buch entnommen. |
Copyright
der Farbaufnahmen: NORDLANDSEITE |
|
Veröffentlichung und Verbreitung nur mit
Einverständnis des Autors!
Alle
Rechte bei der NORDLANDSEITE, 2003
|
nach
oben |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Die autiotupa auf Hoika Petäjäsaari - bei
mir machte sie einen brauchbaren Eindruck. |
Diese finnischen Signaturen sind von
1934 und 1936. |
|
Holzplanken führen über den sumpfigen
Waldboden. |
Im Turm fehlt die Uhr.
|
Liebevoll restauriert...
|
...ist mittlerweile der Innenraum.
|
|
Tatu verkauft Postkarten und Infomaterial
zur Kirche. |
|
|
|
|
|