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Infos
zum Tour-Fahrrad
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Mit
dem Fahrrad um Lapplands größten See |
Tour
d'Inari |
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Erster Tag
"Quäl‘
dich, du Sau!" - Den
Jan Ullrich will ich eigentlich
nicht machen. So stehe ich einsam und allein abends unter
wolkigem Himmel am Flughafen
Ivalo im hohen Lappland und
montiere mein Fahrrad. Um 20.30 Uhr ist mein Drahtesel
endlich bepackt, Helm auf und ab geht die erste Etappe zum
fast 50 Kilometer entfernten Kirchdorf
Inari. Die Tour d’Inari
hat begonnen! Mit dem Fahrrad um den
Inari-See ist mein
Ziel!
Nach
wenigen hundert Metern schon der erste Geschwindigkeitsrekord:
46,1 kmh. "Wahnsinn!", denke ich und versuche
das Rad auf der Bergabfahrt ruhig zu halten. Jede kleinste
Querbewegung lässt das Rad noch heftiger schaukeln, doch
meine Hydraulikbremse am Hinterrad arbeitet tadellos. Nach
der Talfahrt der erste Berganstieg, ich muss absteigen. Als
ungeübter Radfahrer läuft mir der Schweiß
eimerweise.
Nach zwölf
Kilometern erreiche ich Ivalo und kann nicht mehr. An der
Tankstelle ein halber Liter Wasser auf ex. Kurz nach der
Ortsausfahrt schubst mich ein finnisches Auto fast vom
Asphalt. Dabei ist die Straße ganz leer! Fluchen, treten,
weiter.
Der Spruch
"Quäl‘ dich, du Sau" trifft jetzt doch immer mehr zu. Oft
muss ich absteigen, um das Rad – mit Gepäck etwa 35
Kilogramm – die Steigungen hochzuschieben. Der helle Nachthimmel
ist Wolken verhangen. Schwitzerei bei 15 Grad.
Nach 23
Etappenkilometern kommt starker Gegenwind auf. Es fängt
heftig an zu regnen. Flucht auf den nächsten Parkplatz.
Perkele! Im Windschatten des Trockenklos stelle ich das Rad
ab und betrachte wehleidig die drei Wohnmobile auf dem
Parkplatz. "Naja, wenigstens brauche ich keine
Scheibenwischer", tröste ich mich. Der Inari ist heute
kein waagerechter sondern ein senkrechter See!
Von der
Toilette, wo es einigermaßen trocken ist, schicke ich
Freund Sauli eine Kurznachricht per Mobiltelefon. Insgeheim
hoffe ich, dass er mich jetzt mit dem Auto abholt. Doch
Sauli schreibt zurück: "Be strong!" Was ein
richtiger Radfahrer ist... Sollte ich dieses Jahr kein
Wetterglück haben? Endlich nach einer halben Stunde kann
ich weiter fahren. Es stürmt und regnet zwar immer noch,
aber nicht mehr so intensiv wie am Anfang.
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Zusammenbau
des Rades am Ivalo-Flughafen. |
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Vorbei geht
die nasse Fahrt an den aufgepeitschten Inari-See. Es ist
nach Mitternacht, als ich endlich das kleine Hüttendorf
Uruniemi unmittelbar vor dem Kirchdorf erreiche. Hier ist
Sauli Pätilä der Platzmanager von "Pätilän Mökkit"
– der kleinen gemütlichen Holzhäuser direkt am Ufer des
Inari-Sees.
Die Freude
ist groß, der Prolog zu Ende und zur Begrüßung gibt es
was zu trinken. Die Sauna ist angeheizt. Es ist schon
verrückt, denn es ist taghell, und ich gehe um zwei Uhr
morgens im Regen in die Sauna.
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Sauli Pätilä und sein Vater vor
dem Haus auf Uruniemi. |
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Zweiter Tag
Es ist
bedeckt aber warm. Heute ist Tourpause. Erstmal will ich
mich von den Strapazen der ersten Etappe erholen. Gegen
Mittag scheint die Sonne. Also bummle ich mit dem Fahrrad
durch das Kirchdorf, besuche Freunde und erhole mich abends
in der Sauna. Muskelkater habe ich keinen, Gott sei Dank!
Dritter Tag
Es geht weiter
nordostwärts. Es ist heiß! Die nordische Sonne brennt
gnadenlos vom Himmel. Wenn ich eine Pause machen möchte,
umschwirren mich sofort mehrere Bremsen. Dank des kleinen
Trapezrahmens kann ich schnell vom Rad springen und flüchten. Die Landschaft ist
schön, die Landstraße schwer. Immer wieder geht es
bergauf, bergab. Beim Schieben kommen die Bremsen.
Perkele!
Der Schweiß
läuft den Rücken herunter. Mein heutiges
Etappenziel heißt Väylä. Doch als ich dieses
Straßenschild – mehr ist da wirklich nicht – erreiche,
ist es noch zu früh am Tag. Ich will weiter!
Einige
Kilometer später schaue
ich mich nach einem geeigneten Zeltplatz um. "Birken sollst du
weichen, Kiefern musst du suchen." – sollte der
nordskandinavische Fahradfahrer- wildcamperspruch lauten. Weil
Birkenwälder eher in Feuchtgebieten zu finden sind und
damit eine große Menge von Stechinsekten, halte ich
Ausschau nach den knorrigen Kiefern, wo der Boden meist trockener
Natur ist. Allerdings finde ich nichts mit einer
Möglichkeit auf Frischwasser. Der Inari-See ist trotz
Sichtkontakt zu weit entfernt. Bis zum Uferrand müssten
große Steine und morastiger Boden bewältigt werden. Ich
gebe es zu, zum Zähneputzen ist mir das zu anstrengend!
Dann die
Überraschung: Bei Partakko ist ein Campingplatz direkt am
Ufer des Sees. Das Zähneputzen ist
gerettet. Der Platz ist ziemlich voll mit meist finnischen
Leuten, wie ich es anhand der Autokennzeichen erkennen kann.
Ein ständiges Kommen und Gehen – besser An und
Ablegen kleinerer Angelboote am Strand - herrscht hier. Die Finnen scheinen
keine Zeit zu kennen: Nachts um Vier ist ebenso viel los wie
abends zuvor um Sieben oder morgens um Elf. Die Himmel ist
blau und geht, je später es wird, in einen feinen Nebel
über. Es wird trotz der Nachtsonne lausig kalt! Heute zeigt
der Tacho 70 gefahrene Kilometer an. Damit bin ich zufrieden
und krieche dick verpackt in mein Zelt.
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Vierter Tag
Das Tourbuch
verzeichnet eine schlaflose Nacht: der Boden hart, die
Finnen nicht leise und ab morgens über 30 Grad im Zelt!
Perkele!
Ich bin
gerädert! Gehört wohl zu einer Fahrradtour hinzu – rede
ich mir ein. In Partakko soll es sogar eine kleine Schule geben,
die aber mangels Schüler geschlossen ist. Davon kriege ich
nichts mit, denn meine Räder drehen sich weiter über die
Straße 971. Es ist nicht mein Tag heute. Passage des Ufers des
Nitsijärvi, eines großen Nebensees des Inari. Ich
mache einen Halt, das Fahrrad fällt um, und ich habe
plötzlich Schmerzen im linken Bein. Ansonsten weitere
Schlagworte von der heutigen Etappe: Hitze, Bremsen.
Endlich
erreiche ich Sevettijärvi. Ein Straßenschild weist
auf einen Campingplatz hin. Doch wo ist der? Ich radle und
radle, das Wasser wird knapp – kein Campingplatz. Nur eine
geschlossene Tankstelle und ein schöner Sandstrand.
Zwölf
Kilometer nach Sevettijärvi halte ich an. Wo ist dieser
verdammte Campingplatz? Mir steckt die Nacht zuvor zu sehr
in den Knochen, ich sehne mich nach einer Dusche. Gegenüber
kommt ein Mercedes den Weg entlang. Ich laufe über die
Landstraße und frage nach dem Campingplatz. Jo, den gäbe
es, er liege kurz hinter Sevettijärvi – von hier aus
gesehen. Kiitos! Etwa 25 Kilometer umsonst gefahren. Mir
fallen so Sprüche ein wie "Sport ist Mord",
"No sport"...
Tatsächlich,
ganz versteckt ein Campingplatz! Ein schöner dazu!
Irgendwie sagt mir meine innere Stimme, dass ein
Kaufmannsladen in der Nähe sei und dass der gleich
schließe. Also wieder aufs Fahrrad, aber diesmal ohne Gepäck.
Dank Wegbeschreibung finde ich den Kaufmannsladen, der wohl
bis Mitternacht auf hat.
Perkele - der
nächste Schreck: Meine Scheckkarte und meine Kreditkarte
sind vom Schweiß völlig durchnässt. Daran habe ich nun
gar nicht gedacht. Wieder schwitze ich – diesmal an der
Kasse, ob es denn meine Karten noch tun. Uff, der
Automat kann sie lesen!
Bei der
Rückfahrt zum Campingplatz kommt mir angesichts der
Schmerzen in Armen, Beinen und Hintern so eine Art Weigerung
auf, weiter mit dem Rad zu fahren. Blöde Idee – mit dem
Rad durch Lappland. Nö, ich habe keine Lust mehr und lege
mich nach Abendessen und Wäschewaschen ins Zelt.
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Endlich Feierabend
in Sevettijärvi! Ich kann nicht mehr.
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Fünfter Tag
Eine gute
Nacht. Die restlichen Schmerzen und meine Abneigung gegen
das Fahrradfahren dusche ich heiß und kalt weg. Das Rad
wird bepackt, mit Energie und Ehrgeiz trete ich in die
Pedale! Die Sonne knallt mir auf den Rücken. Ein Handtuch unter dem Helm
schützt den mittlerweile
krebsroten Nacken.
Heute ist
Rentierjagen angesagt. Da die Tiere schwerhörig zu sein
scheinen und auf meine Klingelei nicht reagieren, muhe ich wie eine Hochgebirgskuh in der Gegend
herum. Das zumindest erschreckt - oder besser verschreckt - die Viecher. Kollisionen kann ich so
verhindern. Eines treibe ich sogar einige Kilometer vor mir
her. Heute bin ich selbst ein Tier, heute mache ich den Jan
Ullrich!
Bis zur
norwegischen Grenze sind es etwa 35 Kilometer. Und
plötzlich zwischen zwei Rentieren kommt mir ein
Fahrradfahrer entgegen. Der erste seit meiner Ankunft in
Lappland. "Where are You from?" –
"Germany!" schallt es über die nordeuropäische
Landstraße. Ein Karlsruher! Seit 60 Tage sei er unterwegs.
Er sei über Norwegen gekommen und führe jetzt südwärts
durch Finnland. Seine Tagesleistung läge zwischen 150 bis 200
Kilometer. Ich wechsle schnell das Thema, wir wünschen uns
noch eine gute Weiterfahrt, und schon ist er weg.
Nätämö
steigt in der heißen finnischen Landschaft auf wie eine
Oase in der Wüste. Hier gibt es quasi alles auf kleinstem
Raum. Der Superkraftstoff kostet 1,39 € (98E). Allerdings
habe ich keinen Tank. Die Temperaturanzeige steht auf 27
Grad. Mehrere Dutzend Rentiere verharren unbeweglich in der
Schattenseite eines Hauses. Ich lege eine Pause ein,
erfrische mich und summe das alte Michael Holm-Lied ‚Mendocino‘.
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Die Rentiere im
Hausschatten - 27 Grad in Nätämö.
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Nach wenigen
Kilometern kommt die Grenze. Finnland ist ja EU-Land, hat
den Euro, wenn auch keine 1- und 2-Cent-Stücke. Norwegen
gehört nicht zur EU, und dort gilt die Krone und die Øre.
Und was ist an dieser fast nördlichsten EU-Grenze? Nichts!
Noch nicht einmal ein Passbeamter! Nur 17 lange Rohre über
der Straße, damit norwegische Rentiere und anderes Getier
nicht nach Finnland können und umgekehrt.
Wie soll ich
da heil mein Fahrrad rüberkriegen? Allein wage ich mich
nach Norwegen, während mein Rad in Finnland bleibt. Auf
meiner Uhr ist es jetzt 15.33 Uhr norwegischer Zeit,
während mein Fahrrad bei 16.33 Uhr finnischer Zeit steht -
nordische Zeitverschiebung!
Keine andere
Möglichkeit. An, über oder unter dem Zaun links und rechts
der Straße kann ich auch nicht passieren. Also ein bisschen
Zirkusakrobatik - ich schiebe vorsichtig das schwere Rad
über die dicken Stangen und versuche mit den Füßen das
Gleichgewicht zu halten. Geschafft! Mein Fahrrad und ich
sind gemeinsam in Norwegen.
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Eine
Stunde Belichtungszeit an der norwegisch-finnischen Grenze!
Ich
fotografiere von der norwegischen Seite aus, bei
meinem Fahrrad in Finnland ist es eine Stunde
später. |
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Es folgt die
Abfahrt nach Neiden. Dabei rolle ich durch den Ort Björkneset.
Dort hält eine norwegische Zollbeamtin in Uniform ein Auto
an und kontrolliert Papiere und Pkw. Also wird doch
aufgepasst!
Die
Stromschnellen vor Neiden passiere ich; an der Kreuzung muss
ich rechts auf die E6 abbiegen. Die Abfahrt wird mit neuem
Geschwindigkeitsrekord vermerkt: 46,5 kmh! Zwar gibt es kurz
hinter der Kreuzung einen Campingplatz, der aber meiner Meinung nach diesen
Namen kaum verdient. Also weiterfahren, auch wenn es schon
spät ist.
Mein
Höhenmesser zeigt 35 Meter an, wieder muss ich am Berg das
Rad hoch schieben. Diesmal schiebe ich lange – bis ich
eine Höhe von 130 Meter erreicht habe. Langsam bricht
wieder meine Abneigung gegen das Fahrradfahren durch. Nach
der langen Bergschieberei kommt die schnelle Talfahrt: Nach
fünf Minuten bin ich wieder auf 35 Höhenmetern. Aber
dafür gibt es einen weiteren Geschwindigkeitsrekord: 47,6
kmh. Trotzdem ein komisches Gefühl, wenn dabei einem noch
die Autos überholen.
Vor mir
erstreckt sich linke Hand der Munkefjord. Ich rieche das
Nordmeer! Erfrischung an einem Bachlauf - Kirkenes,
ich komme! Nur herrscht jetzt Gegenwind. Der Neidenfjord
schließt sich an, ich folge der E6 ostwärts zum Korsfjord.
Schieberei von 40 Meter auf 100 Meter, Schussfahrt auf 50
Meter, wieder Schieberei auf 105 Meter.
Die Natur
in Nordnorwegen wird hier von einem donnernden Geräusch
dominiert. In der Nähe ist der Militärflughafen von
Kirkenes, ein Flugzeug will starten. Ich fahre - besser
schiebe - durch militärisches Sperrgebiet und mache eine
kurze Pause. Eine neue Talfahrt zum Langfjorden folgt. Unten
erblicke ich die Brücke, wo ich
mal vor einigen Jahren war – zum Kirkenes-Campingplatz in Hesseng ist es nur
noch etwa ein Kilometer! Hurra!
Auf der linken
Seite geht ein junger Rucksackwanderer. Ich rufe ein
freundliches "Hej hej" über die Straße - nur ein
verständnisloser Blick als Echo. Auf dem kurzen Anstieg –
von fünf Meter auf 55 Meter - hängt er mich ab, aber nach der
letzten Talfahrt erreiche ich als erster den Campingplatz,
verliere beim Parken aber noch an Boden. Dennoch reicht es
knapp für den ersten Platz, ich bekomme die letzte
günstige Hütte für 300 Kronen. Mein wortkarger
Weggefährte muss schon 380 Kronen bezahlen.
Ich krieg‘
Cabin Nr. 15. Zwar muss ich mein Rad einen kleinen Berg hochschieben, aber dafür habe ich eine wildromantische braune
Holzhütte mit weißen Fenstern und Blick über die Birken.
In der Hütte sind es 37 Grad, und ich
kann mit meinem Radio die Deutsche Welle nicht mehr
empfangen. Dafür folgt ein gemütliches Abendessen vor der Hütte.
Gegen Mitternacht liege ich zufrieden im Bett.
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Sonnenbrand im
Nacken und 37 Grad in der Hütte!
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Sechster Tag
Tourpause!
Frühstück bei bestem Sommersonnenwetter. Unten auf dem
Stellplatz lerne ich einen Deutschen kennen, der mit seinen
beiden sechs- und achtjährigen Enkeln Urlaub in
Skandinavien macht. Zu dritt übernachten sie in einem alten
Golf II. Was für ein Urlaub!
Kirkenes - das
Flair einer Großstadt empfängt mich. Die Stadt ist voll
von Menschen. Es ist nicht nur südländisch heiß, es sind
auch viele Schwarze in der Stadt. Wie ich erfahre,
sind es Asylsuchende, die von Oslo aus über das ganze Land
verteilt werden. Kirkenes – eine Multikulti-Stadt. Selbst
die Straßenschilder sind dreisprachig: norwegisch, samisch
und russisch. Unten im Hafen liegen russische Schiffe. Die
Mannschaften sonnen sich in Badehosen auf den verrosteten
Decks.
In der Stadt
bremse abrupt ich mit meinem Fahrrad vor einem großen
Motorrad. Denn mit solchen Gefährten sind jetzt im
Sommer viele Menschen unterwegs; ganz oft klebt ein frischer
Nordkap-Aufkleber auf den Gepäckboxen. Wer schon so weit im
Norden ist, der will natürlich auch einen Hauch Russland zu
spüren bekommen. Die angebotenen
Tourmöglichkeiten in der Touristeninformation sind
sehr vielfältig
Die Bibliothek
im Zentrum ist gut gefüllt. Hier stehen vier
Internetcomputer zur kostenlosen Benutzung. Der Andrang ist
groß, viele Schwarze können so Kontakt per Email zu ihrer Heimat halten, oder chatten mit Freunden auf dem
schwarzen Kontinent. Darum gibt es auch eine zeitliche
Reglementierung, nach 30 Minuten ist Schluss. Viele stellen
sich sofort wieder hinten an.
Auf dem
Rückweg erwartet mich ein neuer Geschwindigkeitsrekord:
49,9 kmh – von 70 auf 45 Höhenmetern in etwa einer
Minute!
Auf dem
Campingplatz lerne ich einen jungen Züricher namens Simon
kennen, der ebenfalls mit dem Rad unterwegs ist. Bis hier
hat er 5995 Kilometer zurückgelegt. Auch er hat unterwegs
den Karlsruher getroffen – Skandinavien, ein Dorf!
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Simon aus der
Schweiz - Speichenwechsel bei 5995 Kilometern
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Siebter Tag
Hitze pur.
Nach dem Aufstehen einige Koordinationsschwierigkeiten mit
den Beinen. Die gestrige Etappe geht an meine Substanz. Die
Fußsohlen sind mit Blut voll gelaufen, selbst die Strümpfe
sind unten dunkelrot gefärbt.
Heute will ich
den Pasvikfluss entlang, um zumindest den südlichsten Punkt
der norwegisch-russischen Grenze zu erreichen, was für
meine Fast-Umrundung des Inari-Sees notwendig wäre. Meine
Karte weist einige Ortschaften in diesem Gebiet auf,
Verpflegung scheint also gesichert.
Start in
Richtung Pasvikdalen. Die Landstraße 885 beginnt mit einem
ewigen Auf und Ab. Links der Straße erstrecken sich die
stillgelegten Erzgruben, rechts zieht sich der Langfjorden.
Die Straßenschilder weisen auf die norwegisch-russische
Grenze hin. Ich kann den Pasvikfluss sehen - jenen
mächtigen Grenzfluss, der früher Nato und Ostblock
trennte.
Etwas weiter
südlich sehe ich in der Ferne die gelb qualmenden Schlote
der russischen Grubenstadt
Nikel, ein ökologischer
Albtraum. Bei Svanvik mache ich Halt am Umweltzentrum Svanhovd und erfahre Näheres über das russische
Nikel-Kombinat. 200.000 Tonnen giftigen Schwefeldioxyd
werden pro Jahr über die Schornsteine freigesetzt. Die
Natur im Umkreis von Nikel ist praktisch tot. Norwegen und Finnland
haben viele Millionen Euro zur Sanierung investiert,
doch die Russen haben bis jetzt kein greifendes Konzept. Zum Glück
für die Norweger herrscht meist Westwind, so dass sich die
Folgen dieser ökologischen Katastrophe nur auf russischem
Boden niederschlagen.
Die Sonne
scheint, die Farben knallen. Nach etwa weiteren zehn
Kilometern erreiche ich einen Parkplatz direkt an einem See
gelegen. Die restlichen 50 Kilometer bis nach Nyrud sind mir
für heute zuviel. Hier will ich übernachten. Etwas abseits
baue ich mein Zelt auf, mache mir an dem Tisch auf dem
Parkplatz etwas zu essen. Eine schöne und ruhige Natur
umgibt mich, bis...
... bis ein
großer alter Mercedes vorgefahren kommt und fünf
pubertierende Jugendliche herausspringen. Sie wollen eine
Art Party am Ufer des Sees feiern und sprechen kein Wort
Englisch. Mit netter Mine mache ich ihnen klar, dass ich
hier in der Nähe im Zelt übernachten möchte. Dann ziehe
ich mich ins Zelt zurück. Das jugendliche Gejohle dauert
Stunde um Stunde, wie eben so Jugendliche sind. Um ein Uhr
kommt die Mutprobe – wer kommt am nächsten ans Zelt
heran? Ich brumme wie ein Bär, und fünf Gestalten
flüchten von meinem Zelt in das etwa hundert Meter entfernte
Hüttenklo. Eine Viertelstunde später kommt die Mama
im Mercedes, und ich habe endlich Ruhe.
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Achter Tag
Aber nicht
lange. Es windet plötzlich. Der blaue Mitternachtshimmel
wechselt ins pampig graue. Bis zum Morgen kann ich dösen,
dann weckt mich um 6.30 Uhr der Lärm des
Toilettenreinigungsdienstes. Erholsam war die Nacht nicht.
Kühl ist es. Ich packe meine Sachen und frühstücke am
Steintisch. Dann setzt der Regen ein. Gut nass fahre
ich los. Jetzt ärgere ich mich, dass ich gestern doch nicht
weitergefahren bin. Die Regenwolken hängen so tief, dass
ich mir einen Blick von der ‚Höhe 96‘ – von dem Turm
soll man eine sagenhafte Sicht haben – erspare. Vielleicht
was für die Rückfahrt?
Im windigen
und kalten Regen quäle ich mich über die Landstraße. Hier
wird offensichtlich die Asphaltdecke nicht so gepflegt wie
noch auf der E6. Große Querrillen kreuzen die Fahrbahn. Das
Überfahren der Spalten schmerzt in Hand- und Armgelenken.
Was heißt eigentlich ‚Teufel‘ auf norwegisch? Zum
Glück fasst meine Hydraulik-Felgenbremse trotz der
zweieinhalb Zentner Gesamtgewicht perfekt bei dem nassen
Wetter.
Pause in
Skogfoss. Hier ist ein kleiner ‚Joker‘-Supermarkt, der
einzige zwischen Kirkenes und der Dreiländergrenze!
Gegenüber ist eine norwegische Kaserne. Junge Soldaten
marschieren in den Supermarkt und kaufen ein. Ich frage
einen Soldaten, ob ich mit auf eine Fahrt über den Pasvik
könne. Er lacht und sagt, noch nie hätte ein norwegischer
Soldat die andere, die russische Ufergrenze betreten.
Es beginnt
fürchterlich an zu schütten. Im Supermarkt gibt es zwei
Paar Gummistiefel für je 499 Kronen zu kaufen, eines in
Größe 41 und eines in 43. Ich habe 42. Die Verkäuferin
ist nett, berät mich. Und SIE kommt zu dem Entschluss, die
Stiefel besser nicht zu kaufen, eben weil sie nicht passten!
Statt dessen schenkt sie mir mehrere Plastiktüten, darin
solle ich meine Füße schützen und in die Wanderschuhe
stecken. Eine gute Idee, die zudem bestens funktioniert!
Das einmalige
Essen im bekannten Gasthaus Pasvik Taiga schenke ich mir.
Ich habe kaum noch Geld, da es hier keine Geldautomaten
mehr gibt.
Bei der
weiteren Regenfahrt kann ich auf der anderen Flussseite die
russischen Grenzposten in ihren kleinen Türmen sehen. Der
Pasvikfluss – ein gewaltiger Fluss! Eine große schwarze
Regenwolke hüllt den 357 Meter hohen Kalkupää auf der
russischen Seite in ihrem nassen Nebel ein. Zum Glück ist
sie noch weit entfernt – noch!
Unvermutet
taucht etwas versteckt ein Straßenschild auf: ‚Fangeleir
2‘. Hier soll der Fußweg zu einem russischen
Kriegsgefangenenlager aus dem Zweiten Weltkrieg beginnen.
Pro Strecke etwa zwei, drei Kilometer. Der Regen ist jetzt
nicht so stark, ich will eine Wanderung wagen. Also schiebe
ich mein vollbepacktes Fahrrad den Graben hinunter, und da
passiert es. Das Fahrrad ist zu schwer, ich stürze, mein
rechter Fuß knickt um. Die Schmerzen treiben mir Tränen in
die Augen. Alles hätte passieren dürfen, nur nicht das
nicht. Peeeeerkele! Dabei hatte ich in der Tourvorbereitung extra als
Gelenktraining Unterwasserhüpfen auf Zehenspitzen gemacht,
damit die Fußmuskulatur stabiler wird. In dem kalten nassen
Gras versuche ich den Fuß zu kühlen.
Nach etwa
einer halben Stunde kann ich den Fuß, wenn auch nur unter
Schmerzen, wieder minimal belasten. Um festzustellen wie
weit ich mit dem Fuß im wahrsten Sinne komme, wage ich mich
einige hundert Meter auf dem Waldpfad in Richtung
Kriegsgefangenenlager. Durch den Regen ist die Luft ganz
feucht, unzählige Mücken umschwirren mich. Gegen sie
schütze ich mich mit einem Gesichtsnetz. Aber das hat auch
einen Nachteil, ich schwitze unter dem Netz. Also schwitze
ich, habe bei jedem Fehltritt große Schmerzen und
bewundere einen grandiosen nordischen Urwald! Den hätte ich
gerne weiter durchwandert, aber das Risiko ist zu groß. Ich
verweile einige Zeit in der großartigen Natur und hinke
zurück.
Kaum erreiche
ich wieder die Schildtafel an der Straße, bricht eine wahre
Sintflut über mich herein. Irgendwie nass heute. Ganz dicht
presse ich mich an die Tafelwand. Nach dem
Starkregenguss versuche ich, Rad und Gepäck einzeln wieder
auf die Straße zu bekommen, was mir nach längerer Zeit
auch gelingt. Vorsichtig fädele ich den lädierten Fuß in
den Korb der Pedale und radle los.
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Rush hour in
Lappland.
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In langsamer
Fahrt und strömenden Regen erreiche ich den Ort Vaggetem.
Hier soll es einen Campingplatz geben, den ich diesmal auf
Anhieb finde. Doch alle Hütten sind voll, und mit meinem
lädierten Fuß habe ich nicht so die Lust auf eine nasse
Zeltnacht. Edith Randa, Seesamin und die Chefin des Campingplatzes, ist eine liebe Frau und gibt mir den
Schlüssel zu einer "unkomfortablen" Hütte ohne
Strom und Wasser am Ende des Dorfes gelegen. Ich finde die
Hütte toll und lasse mich häuslich nieder!
Wegen des
Fußes erwäge ich eine Rückfahrt mit dem Bus. Heute ist
Donnerstag, der nächste Bus führe am Samstag, dann erst
wieder am Dienstag. Da ich eine Wanderung in den
Øvre
Pasvik Nationalpark besser nicht mache, bleibt für mich nur
der Bus am Samstag übrig. Auch hätte ich kein Geld mehr
für Essen oder Campingplatzübernachtungen. Auch muss ich
mir eingestehen, dass ich neben dem Unglück die Sache nur
unzureichend geplant habe. Sonst wäre mir die Unachtsamkeit
mit dem Bargeld erspart geblieben. Und hier gibt es wirklich
weit und breit keine Möglichkeit zum Geldabheben! (Außer
in dem Joker-Supermarkt in Skogfoss.
Allerdings wird nur eine Kreditkarte - in meinem Fall
Mastercard - akzepiert, die zum Bargeldabheben
freigeschaltet ist. Das war bei mir nicht der Fall.)
Also will ich
es zumindest versuchen, bis zum südlichsten Punkt der norwegisch-russischen Grenze in etwa 34 Kilometer Entfernung
zu fahren! Dafür hätte ich einen Tag Zeit! Der Bus würde
Vaggetem am Samstagmorgen gegen sieben Uhr verlassen.
Hoffentlich mit mir an Bord!
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Edith Victoria
Randa mit ihrem Mann am Ufer des Pasvikflusses.
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Neunter Tag
Früh bin ich
wach, im Morgennebel schwinge ich mich aufs Rad. Das Wetter
ist heute wieder warm und sonnig. Kaum bin ich wenige
hundert Meter gefahren, nehme ich aus dem rechten
Augenwinkel eine Bewegung war. Ich drehe den Kopf – und
tatsächlich, im Graben hockt ein Luchs! Mit seinen gelben
Augen schaut er mich an, spitzt die Ohren, dreht sich in
einer eleganten Bewegung und rennt gemächlich davon. Hätte
er sich nicht bewegt, hätte ich ihn wegen seines Fells, was
die gleiche Farbe wie die Umgebung hat, nicht erkennen
können! Ein seltenes Naturerlebnis hier in
Nordskandinavien!
Kaum sitze ich
wieder auf meinem Rad, kreuzen sechs Kraniche – am Himmel meinen Weg. Im V-Flug mit
scheinbar staksigen Bewegungen fliegen die großen hellgrau
und schwarzen Vögel in Richtung Russland. Jetzt bin ich
gespannt, ob ich gar einen Bären zu sehen bekomme.
Etwa 14
Kilometer fahre ich Menschenseelen allein über die
Landstraße, dann markiert ein Ortsschild den Ort Nyrud.
Selbst in meiner Landkarte von freytag & berndt mit
einem Maßstab von 1:2.000.000 ist dieser Ort eingezeichnet.
Aber hier ist wieder mal nichts – fast nichts! Die
Aphaltdecke hat sich in einem löchrigen, lehmigen Weg
verwandelt, von dem ein größerer Weg abzweigt. Rechts und
links sind vereinzelt kleine Wege zu erkennen, die im
Gehölz verschwinden. Sie führen zu Gehöften, so vermute
ich.
Nach gut
hundert Metern hört auch der Erdweg auf, ich stehe vor dem
‚fast‘ - einem verschlossenen Holzgatter. Dahinter ist
ein gepflegter Garten und mehrere schwarze Holzhäuser mit
weißen Dächern. Es ist die Station des Grenzkommissariat
der norwegisch-russischen Grenze. Auf einem Schild ist zu
lesen, wenn man Probleme oder etwas zu melden habe, solle
man eine bestimmte Mobiltelefonnummer oder die
Polizeistation in Kirkenes anrufen, falls keiner da sei...
Sonst ist hier kein Mensch ist zu sehen.
Zurück fahre
ich den Weg und nehme die andere Abzweigung. Einige hundert Meter weiter
kommt wieder eine Abzweigung, die zu einigen
Betonhäusern führt - eine Militärkaserne, wo aber auch
kein Lebenszeichen zu entdecken ist. Der Krieg ist aus, wir
gehen nach Haus... Schön wär’s!
Die
Buckelpiste führt Kilometer um Kilometer durch den
nordischen Urwald. Der Erdboden links und rechts des Weges
ist mit braunen Flechten und Krüppelbirken überwuchert.
Krumme Kiefern strecken sich in den blauen Himmel.
Dazwischen liegen viele umgestürzte Bäume. Alle paar Meter
sind die Bäume verkohlt, Folgen von Blitzeinschlägen,
vermute ich.
Hin und wieder
sind große Steinansammlungen zu sehen. Ich muss eine kleine
Brücke überqueren, die den Namen nicht verdient.
Plötzlich ohne Vorwarnung stehe ich einem Holzgatter
gegenüber, das den Weg versperrt. Kein Schild, keine Tafel
ist zu sehen. Links und rechts des Weges ist ein Zaun. Nanu?
Einen Alternativweg kann ich nicht entdecken, wenn man von
der Abzweigung an der Kaserne absieht. Zurück fahren? Nein,
dafür bin ich schon zu weit gefahren. Also drücke ich drei
der fünf lockeren Holzstangen beiseite und schiebe mein
Fahrrad durch.
Kein Mensch
ist zu sehen, wie ich schon heute den ganzen Tag keinen
gesehen habe. Hoffentlich ist das kein Bärengehege! Nachdem
ich die Stangen wieder zurück geschoben habe, fahre ich
weiter. Etwas weiter komme ich an einen aufgeschütteten
Damm. Oben stelle ich mein Fahrrad ab und gehe einen kleinen
Pfad zum Ufer entlang.
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Aufbruch ins
Ungewisse. Was erwartet mich hinter der Absperrung?
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Vor mir
eröffnet sich eine große Wasserfläche. Ich stehe am Ufer
des wilden ungezähmten Pasvikflusses. So hat er weit
ausladende Buchten, wie ich mich jetzt an einer befinde. Nur
wenige Dutzend Kilometer in südwestlicher Richtung beginnt
sein Weg heraus aus dem Inari-See. Wie eine mächtige
Schlange windet er sich auf seinem fast 150 Kilometer langem
Weg zum Eismeer und teilt dabei West- und Osteuropa!
Das Wasser ist
kristallklar. Eine Pause mache ich hier und genieße diesen
schönen Blick! Dann gehe ich zurück zu meinem Rad und
fahre neben dem Damm her. Unvermittelt stehe ich wieder vor
einem Gatter, schnell bin ich durch. Ich vermute, dass die
beiden Gatter ein Naturschutzgebiet markieren.
Weiter geht
meine Schlidderfahrt auf dem Lehmboden. Eine neue
Abzweigung! Nach wenigen hundert Meter ist dieser Weg zu
Ende, ich muss zurück auf den alten Weg! Hoffentlich hält
mein Rad! Zwar habe ich Flickzeug und Luftpumpe mit dabei,
aber größere Schäden könnte ich mangels Werkzeug nicht
beheben. Meine Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt gerade
mal elf Stundenkilometer.
Nanu,
Motorengeräusche! Zum ersten Mal überholt mich heute ein
Auto, wenige Minuten später ein zweites. Norweger, sehe ich
am Kennzeichen. Müssen die gute Stoßdämpfer haben! Etwas
beruhigt bin ich schon. Also bin ich nicht der letzte Mensch
auf dieser Welt.
Meine grobe
Landkarte zeigt an, dass noch ein Fluss zu überqueren ist.
Doch der ist kaum wahrnehmbar. Irgendwie sind die Maßstäbe
hier in der nördlichen Wildnis anders. An diesem etwa drei
Meter breiten Rinnsal schöpfe ich frisches Wasser und der
Endspurt beginnt! Kurze Zeit später eine neue Abzweigung.
Rechts geht es ab zur Treriksrøysa, der Dreiländergrenze
in fünf Kilometer Entfernung. Dort soll ein großer
Steinhaufen, eine Warde, den Punkt markieren, wo sich die
drei Reichsgrenzen von Norwegen, Finnland und Russland
treffen. Eine Runde um diesen Steinhaufen zu drehen, ist
strikt verboten! Es sei eine Grenzverletzung, so hatte mich Edith Randa noch in Vaggetem
gewarnt.
Zuerst will
ich aber zum südlichsten Punkt der norwegisch-finnischen
Grenze zu Grenseneset. Der Lehmweg ist ganz weich, mehrmals
drifte ich mit dem Fahrrad weg, zum Glück ohne Sturz.
Endlich erreiche ich nach genau 454,81 Kilometern mein
erstes Tourziel!
Am Ufer mache
ich eine Pause und überlege kurz, ob ich kurz zur Insel
Grensenesholmen hinüber schwimmen soll, quasi zur
Erfrischung. Doch mein rechter Fuß warnt mich. Prompt
knicke ich leicht um und habe wieder starke Schmerzen. Dass
ich deswegen keine Zehn-Kilometer-Wanderung vom Parkplatz
zur Dreiländergrenze machen kann, ist mir schon vorher
klar.
Also schone
ich meinen Fuß noch einige Zeit, ehe ich zum Parkplatz
aufbreche. Das Fahren auf dem Schwemmsand ist heimtückisch
und erfordert meine volle Konzentration. Ich bin froh, als
ich wieder den festeren Lehmweg erreiche.
Langsam gibt
es neben dem Fuß auch ein zeitliches Problem. Für die
knapp 35 Kilometer ab Vaggetem habe ich etwa sechs
Stunden gebraucht. Viel zu lange! Für die Wanderung – die
zehn Kilometer zur Dreiländergrenze – bräuchte ich im
schwierigem Gelände pro Kilometer etwa 30 Minuten. Also
noch mal fünf Stunden drauf. Jetzt war es drei Uhr
nachmittags. Also mit fünf Stunden Wanderung plus sechs
Stunden Rückfahrt (im günstigsten Fall vier Stunden) wäre
ich um ein Uhr morgens wieder zurück – vorausgesetzt
alles klappt reibungslos. Müsste aber dann wieder um sechs
Uhr aufstehen, die Hütte reinigen, alles packen und um Sieben
den Bus nehmen. Und länger bleiben? Ohne Geld
und ohne Nahrungsmittel wäre es ein bisschen knapp.
Das sind meine
Gedanken, als ich mich auf den Wanderweg zur
Dreiländergrenze begebe. Das Gelände ist sumpfig. Gut,
dass ich mein Mückenschutznetz dabei habe. Besonders
sumpfige Stellen sind mit zusammengebundenen Holzstämmen
abgedeckt. Die sind aber glatt und rutschig und für mich
nur schwer zu begehen. Mit dem verletzten Fuß ist jeder
Schritt nicht ohne Risiko.
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Ein Außerirdischer
naht - ich geb' es ja zu - irgend wie sehe ich lächerlich
aus!
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Der
Holzstammweg weist mehrere kaputte Stellen auf, teilweise
muss ich durch den morastigen Boden. In der Nähe sind die
Grenztürme. Ich winke, ich fühle mich beobachtet. Ein
Blick auf die Uhr, ich breche endgültig ab. Auch schmerzt
der Fuß wieder heftig nach einigen Fehltritten.
Ohne weitere
Schwierigkeiten komme ich wieder zum Parkplatz, wo auch die
beiden norwegischen Autos stehen. Bestimmt sind die Leute
noch unterwegs in Richtung Treriksrøysa.
Nach einer
kleinen Essenspause starte ich meine Rückfahrt. Diesmal ist
es recht monoton, die Steigungen und Abfahrten sind mir
jetzt nicht mehr unbekannt. Endlich erreiche ich das erste
Gatter. Aber diesmal bleibe ich auf dem Hauptweg. Der ist
aber nervig mit seinen ewigen Steigungen und Abfahrten. Auch
ist viel Geröll auf dem Weg, das mir zumindest ein Fahren
praktisch unmöglich macht.
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Lapplands Wege -
Eine Herausforderung für Rad und untrainierte Fahrer.
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Nach einiger
Zeit höre ich plötzlich Schüsse! Erschreckt halte ich
inne. Sind die Russen über die Grenze gedrungen? Ist jetzt
Krieg? Ein paar Meter weiter sehe ich Soldaten, die am Boden
liegen. Kein Krieg, nur eine Übung. Mit dabei Deutsche
Schäferhunde, die schussfest gemacht werden sollen,
erklärt mir einer der Ballerer. Nach Nyrud? Yes, only some
hundred metres. Takk! Ha det!
Geschafft, ich
bin wieder auf der Straße. Gegen 19.30 Uhr erreiche ich
Vaggetem. Edith Randa zeigt mir die Dusche, und ich
bin froh, nicht doch noch die zehn Kilometer marschiert zu
sein. In der Hütte gönne ich mir eine Tüte Elchgulasch
mit Nudeln. Das habe ich mir verdient!
Zehnter Tag
Edith Randa
kommt extra um sieben Uhr zur Straße, um sich von mir zu
verabschieden. Für die Reise gibt es ein leckeres Stück
Kuchen. Dann kommt der Bus, und mit ihm erlebe ich die
Begriffe Zeitdehnung und Zeitraffung neu. Wofür ich zwei
Tage mit dem Rad gebraucht habe, schafft der Bus in zwei
Stunden. Noch den Kuchengeschmack im Mund erreiche ich
Kirkenes.
Eine Stunde
später fährt ein Linienbus weiter nach Inari. Vorbei
geht die schnelle Fahrt an den Fjorden entlang und an den
Stromschnellen bei Neiden; die Grenzpfosten im Boden werden
ohne Wimpernzucken genommen; wieder verharren Rentieren im
Hausschatten bei Nätämö; am Sandstrand in Sevettijärvi
startet ein Wasserflugzeug; der Campingplatz in Partakko ist
wieder voll mit Anglern und hinter dem Straßenschild
Väylä ist immer noch nichts zu sehen.
Nach fünf
Stunden Nettofahrzeit und 320 Buskilometern stehe ich gegen
14 Uhr finnischer Zeit wieder in Inari und gönne mir einen
dicken Hamburger mit Pommes! Wer rollt plötzlich an mir
vorbei? Simon, der junge Schweizer Radfahrer, den ich in
Kirkenes traf. Er ist völlig verblüfft, mich hier zu
sehen. Grinsend will ich was von einer Abkürzung
erzählen, zeige aber dann auf den Bus. Gute Weiterfahrt!
Bei mir ist jetzt wieder eine Tourpause angesagt.
Elfter Tag
Im Zeichen der
Erholung! Am Ufer will das Schiff M/S Inari von Freund Tapani Lappalainen ablegen, ich springe noch schnell an
Bord. Während sich die Touristen mit Essen und Trinken
versorgen und den herrlichen Blick über den See genießen,
kann ich einen spannenden finnischen Schwarzweißfilm am
Bordfernseher verfolgen. Tapani hat auch eine Genehmigung,
um an Bord Alkohol ausschenken zu dürfen. Darum heißt
seine Spezialität ‚Ukonkivi‘ – ein Wodka mit Sprite,
auf die Mischung kommt es an, sagt Tapani!
Seit Mai 2003
fahren seine Frau Pirjo und er mit diesem Schiff Touristen
über den Inari-See. Die M/S Inari ist von 1982, hat 180 PS
und kann bis zu 99 Personen die acht Kilometer zur Insel
Ukko mitnehmen. Die dritte Kraft an Bord ist Veikko Nikula
– der Mann für alles an Bord des Schiffes, wenn Tapani
und Pierjo nicht mitfahren können.
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Prost auf dem
Inari-See - Tapani Lappalainen mit Frau Pirjo und dem
'Ukonkivi'. |
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Zurück im
Kirchdorf kommt mir ein schiebender Fahrradfahrer entgegen:
Er sieht aus wie der Werksfahrer eines japanischen
Radherstellers, hat aber keine Luft in seinem Vorderreifen.
Harald, angehender Mediziner, kommt aus Österreich und hat keine
Druckluftkartuschen mehr. Ich zeige ihm die Tankstelle am
nördlichen Ortsausgang, wo es Reifendruckluft gibt. So kann
Harald nach seinen 7.000 Tourkilometern endlich wieder
durchatmen.
Gestartet ist
Harald in Süditalien. Jetzt ist ihm in kurzer Zeit drei
Mal ein Reifen kaputtgegangen, ohne dass er sich mit
neuen Reservekartuschen hat eindecken können. Ursprünglich
wollte Harald mit dem Rad wieder nach Oberösterreich
gefahren sein, nur hat er jetzt überraschend eine
Arztstelle bekommen und muss schnell wieder zurück. So will
Harald den nächsten Flieger ab Ivalo nehmen.
Dagegen nehme
ich Reindeer mit Püree und Preiselbeeren im Siida-Museum, dazu
Salat und Saft bis zum Abwinken.
Zwölfter Tag
Gemächlich
gehe ich den letzten Rest meiner Tour d’Inari an.
Es fehlt mir nur noch der Südostteil des Inari. Bis Ivalo
nehme ich den Bus und rolle dann per Rad ostwärts über die Landstraße 91
zum Paatsjoki, wie der Pasvikfluss in Finnland heißt. Dass
ich hier auf einer historischen Straße bin, merke ich nach wenigen Kilomtern, denn dieser kleine östliche Vorort
von Ivalo heißt ‚Pikku Petsamo‘.
Diese Straße
bedeutete einmal für die Finnen der einzige Zugang zum
Eismeer bei Petsamo an der Nordmeerküste. Im Zweiten
Weltkrieg verloren sie dieses Gebiet an Russland, und darum
endet die alte Eismeerstraße heute bei Nellim. Sackgassen
braucht man wohl nicht zu asphaltieren – und so quäle ich
mich wieder über eine hart gefahrene Sandpiste voll mit
Steinen und heimtückischen Spurrillen.
Dabei fängt
es an zu regen. Unter einer Birke kann ich zumindest
theoretischen Schutz finden. Das Runterrollen und
Hochschieben an den Bergen geschieht zwar mittlerweile automatisch,
aber so anstrengend wie hier war es nirgends zuvor. Dreimal
Perkele!!! Ab und zu kann ich einen Blick auf den Inari
erhaschen – am Anfang der heutigen Fahrt und dann wieder
bei Nellim. Allerdings kann ich keinen Unterschied
feststellen.
An den
Straßenrändern ist der Waldboden wie aufgeschnitten. Sehr
gut lässt sich die obere dünne Erdschicht erkennen, dann
folgen große Steine und Sand.
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Aufgeschnittener
Lapplandboden am Straßenrand. |
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Nellim ist
endlich wieder ein Ort, den man auch Ort nennen kann. Am
Ortseingang ist sogar ein Kaufmannsladen mit Kneipe und
Tankstelle. An den drei Zapfsäulen blättert der Anstrich
ab, nirgendswo ist der aktuelle Benzinpreis vermerkt. Ich
frage mich, ob man hier überhaupt noch tanken kann. Im
Kaufmannsladen erfahre ich, dass der in meiner Karte
eingezeichnete Campingplatz seit Jahren nicht mehr existiert. Einen anderen gibt es nicht.
Weil es spät ist, will ich in der Nähe im Wald zelten. Zuerst
fahre ich einen kleinen Weg in südöstlicher Richtung bis
fast zur russischen Grenze. Alle paar hundert Meter steht
ein Haus, wohnen Menschen. Das, was mich jetzt ständig
begleitet, ist ununterbrochenes Hundegebell. Alle Leute hier
scheinen einen oder mehrere Hunde zu besitzen, wahrscheinlich als
Alarmanlage. Ist die Grenznähe daran Schuld? Auf jeden Fall ist dieser Weg ein Irrweg! Bei einem
Haus sitzt ein Pärchen in Unterwäsche Bier trinkend auf
der Treppe. "Wo kann ich denn hier mein Zelt
aufbauen?", frage ich auf Englisch. No chance, alles
sei hier Privatgrundstück. Und überall Hunde.
Also rolle ich
wieder durch den Schotter bis nach Nellim zurück. Vorbei
über einen rauschenden Fluss fahre ich weiter. Nach etwa
drei Kilometern finde ich linke Hand ein freies, wildes
Waldgelände. Das erscheint mir weit weg genug für die
kläffenden Hunde von Nellim. Das Rad schleppe ich ein paar
Dutzende Meter in den Wald. Diesmal gehe ich öfters und
nehme das Gepäck einzeln. Zu sehr schmerzt noch der rechte
Fuß. Endlich steht das Zelt – und ein Hund in der Nähe
fängt an zu bellen. Nö, jetzt habe ich keine Lust mehr und
stopfe mir Ohropax in die Ohren. Pax = Friede! Ich schlafe!
Dreizehnter
Tag
Heute ist der
krönende Tourtag. Mein Ziel soll das Erreichen der Mündung
des Pasvikflusses sein – Paatsjoki, wie er hier in
Finnland heißt. Damit möchte ich die Inari-Umrundung,
meine Tour d’Inari, abschließen. Als ich die
Ohropax aus den Ohren nehme, bellt der Hund immer noch!
Das Zelt ist
schnell gepackt, die letzten acht Kilometer stehen an. Der
Weg wird noch schlechter. Endlich eine Straßenkreuzung,
nach links zeigt das Schild mit der Aufschrift ‚Paatsjoki‘.
Nur noch wenige hundert Meter, und ich stehe wieder am Ufer
des Paatsjoki. Etwa an dieser Stelle tritt das Wasser aus
dem Inari-See heraus, um nach fast 150 Kilometern in den
Varangerfjord zu fließen.
Überall
stehen große Grenzschilder, die eindringlich und
fünfsprachig vor einer Grenzverletzung warnen! Selbst an
den Bäumen hängen etwa alle fünf Meter gelbe Schilder mit
der Aufschift ‚RAJAVYÖHYKE‘ – Grenzzone. Edith Randa
in Vaggetem erzählte mir auch, dass besonders die
russischen Grenzsoldaten das Verhalten eines Jeden an der
Grenze beobachteten und sofort ahndeten, wenn es zu einer
Grenzverletzung käme. Absurd – ein Urwald mit gelben
Ringen an den Bäumen!
Der Paatsjoki
ist hier mehrere hundert Meter breit, eine Brücke führt
über den ruhigen Fluss. Im Wasserlauf sind mehrere Inseln,
ebenfalls mit diesen gelben Grenzschildern. Das Wasser
reflektiert den blauen Himmel und die weißen Wolken. Am
Ufer hole ich mir Frischwasser.
Da schaukelt
ein Lastwagen mit russischem Kennzeichen über die Brücke und hält am
anderen Ende an. Nanu, bin ich aus Versehen schon in
Russland, oder hat der Lkw sich verfahren? Ein Mann nimmt
Wasserproben, ich spreche ihn auf Englisch an. Nein, nein,
dies sei finnisches Territorium, erklärt mir der Russe im
perfekten Englisch.
Der etwa
Mitfünfziger stellt sich als Nikolay Kashulin vor. Er komme
aus dem russischen Apatity und sei Wissenschaftler am INEP
– Institut für Nordische Ökonomische (Economic)
Probleme. Er untersuche die Fischbevölkerung auf
Verunreinigungseffekte, besonders durch Schwermetalle. Das
mache er im Auftrag der russischen Regierung in Hinblick auf
die Schadstoffbelastung durch das Kombinat Nikel. Dafür nähme er hier am Oberlauf Wasserproben.
Apatity...
jetzt fällt es mir ein. Vom INEP hatte ich mal eine WebCam-Link
auf meiner Internetseite. "Ja", lacht Nikolay
Kashulin, "die zeigte mein Büro." Bei
Raja-Jooseppi sei er über die Grenze gekommen, um heute
seine Untersuchungen zu machen. Ich fotografiere ihn und er
netterweise mich mit meiner Kamera.
Dann trennen
sich unsere Wege. Ich muss zurück nach Nellim, weil ich
keinen Bedarf mehr an eine Fahrradtour zurück nach Ivalo
habe. Die körperlichen Strapazen sitzen mir in den Knochen.
So hoffe ich, den Bus zu bekommen.
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Der Russe Nikolay
Kashulin, Wissenschaftler vom INEP und ein guter Fotograf!
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Zeitig
erreiche ich wieder den Kaufmannsladen. Da der Bus noch
etwas braucht, wundere ich mich über den Bierumsatz in dem
Laden. Jeder – wirklich jeder, der reinkommt, kauft
mindestens ein Sechserpack, und oft wird die erste Flasche
bereits im Auto geöffnet. Ist denn heute irgend ein finnischer Feiertag, ist eine Party in der Nähe, oder ist
es alkoholfreies Bier? Der Bus kommt, ich kann es nicht mehr
in Erfahrung bringen. Das Grenzdorf Nellim mit seinen
bellenden Hunden und seinen Bier trinkenden Beifahrern
bleibt hinter mir zurück.
Ivalo, das
Zentrum in Lappland. Eine riesige Goldwaschschüssel steht
in der Mitte des Kreisverkehrs am nördlichen Ortsende. Drei
Tankstellen versorgen die Autos mit Sprit. Ein Mittelpunkt
ist der Busterminal, hier treffen Busse aus ganz Finnland
ein. Ein ständiges Kommen und Gehen! Fest angeschmiegt ist
die Stadt an den Lauf des Ivalojoki. Auch ist bei Ivalo der
nördlichste Flughafen Finnlands gelegen. Von dort finden
regelmäßige Verbindungen z. B. nach Helsinki statt.
Mit dem
Durchfahren von Ivalo - aus dem Bus bin ich vor dem
Ortseingang ausgestiegen - beende ich meine Tour d’Inari.
Die Hauptstraße ist mein Champs Élysée, die
Goldwaschschüssel im Kreisverkehr mein Arc de Triumphe. Nach etwa
600 gefahrenen Radkilometern - reine Strecke etwa 440
Kilometer - habe ich mein Hauptziel, die
Fast-Umrundung des Inari-Sees, abgeschlossen. Freude, Jubel?
Nein, aber eine große Zufriedenheit erfüllt mich.
Am nördlichen
Ende von Ivalo passiere ich die eigenwillige Form der
Ivalo-Kirche. Sie wurde in den sechziger Jahren gebaut und
ist die Zentralkirche des Inari-Distrikt. Mich erinnert die
lutherisch-evangelische Kirche an einen steilen Zahn.
Wieder fahre
ich die E75n zum Kirchdorf Inari entlang. Vor etwa zwei
Wochen bei meinem Prolog war es spät in der Nacht, und ich
hatte schlechtes Wetter; jetzt ist es heiß und trocken. Nun will ich auf den Aussichtspunkt
‚Inarijärvi näyttely‘, etwa zehn Kilometer hinter
Ivalo.
Das Fahrrad
muss ich am Fuß des steilen Berges stehen lassen. Selbst
per pedes ist das zumindest für mich nicht ganz einfach, auf ein paar
hundert Metern Wegstrecke eine Höhendifferenz von rund 180
Metern zurückzulegen. Entsprechend außer Puste bin ich und
muss wortlos vier Euro Eintritt hinnehmen.
Eine Art
Freilichtmuseum mit einer alten Lapinkota und anderen
samischen Exponaten endet weiter an einem großen Holzhaus.
Darin gibt es Souvenirs, Souvenirs... Das Café hat eine
große Panoramaterrasse, von wo man wirklich einen tollen
Blick in den Inari-See hat.
In einer Mappe
mit Zeitungsausschnitten lese ich Interessantes und Kurioses um den Inari. Wie
z. B. im Dezember 1984 eine russische Rakete auf dem zugeeisten See zerschellte. Das meiste Presseecho auf diese
Begebenheit kam übrigens aus Deutschland, so kann ich es
nachlesen.
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Der Inarijärvi aus 320 Meter Höhe.
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Der nächste
Halt in der Hitze ist bei ‚Karhunpesäkivi‘ – der
Bärenhöhle. Hier war ich bereits mal vor einigen Jahren.
Damals wies nur ein altes blaues Schild am Straßenrand auf
diese geologische Besonderheit hin, übrigens in Deutsch.
Heute steht hier ein touristisches Vollunternehmen.
310 Holzstufen
zähle ich auf meinem Weg zu der Kopf stehenden
Gletschermühle. Mitten in einer Urlandschaft mit vielen
größeren Findlingen liegt diese Eiszeithinterlassenschaft
mit dem Namen Bärenhöhle. Zwar müssen die Touristen auf
dem Boden herumkriechen, um in das Steininnere zu kommen,
dafür sieht es darin fast wie in einer Tropfsteinhöhle
aus.
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Abenteuerlicher Einstieg in die Bärenhöhle.
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Interessanter
wird es dagegen hinter der Bärenhöhle. Hier ist eine wilde Natur,
die im Detail sehr schön ist - wie umgestürzte Bäume,
bizarre Wurzeln und lange Ameisenstraßen. Kaum ein Tourist
oder Wanderer ist hier anzutreffen – das wilde Lappland.
Dabei bin ich nur wenige Meter von Kitsch und Nepp entfernt.
Nach einiger Zeit tauche ich aus der Urzeit in die Jetztzeit
und trinke neben der Weihnachtsmannfigur am Parkplatz eine
Cola.
Der
Straßenverkehr macht mir nichts mehr aus. Den nächsten
Berg donnere ich hinunter, und - 50,6 kmh! Absoluter
Rekord!
Den folgenden Halt mache ich wenige Kilometer vor dem Kirchdorf. Von
dieser Abzweigung versuche ich den 340 Meter hohen Berg ‚Tuulispäät‘
zu erklettern. Im Volksmund heißt der Berg ‚Lazy Man’s
Mountain‘, erzählt mir Sauli. Kein Wunder, bis zur Spitze
führt ein Autoweg. Ganz oben steht ein großer Sendemast,
immerhin Finnlands höchstes Bauwerk.
Je höher ich
komme, desto mehr fallen mir die vielen verbrannten Bäume
auf. Da zieht eine schwarze Wolkenwand in meine Richtung.
Vereinzelt zucken Blitze auf. Aha, das ist also die Ursache
für die verkohlten Stämme. Nirgends wo kann ich eine
Unterstellmöglichkeit finden. Hoffentlich verwechselt mich
ein Blitz nicht mit einem Baum und erreiche im
Regen die Bergspitze. Nach vorne habe ich einen weiten und
herrlichen Blick über den Inari, im Rücken donnert und
blitzt es. Dafür muss ich keinen Eintritt bezahlen. In der
Ferne kann ich die Insel Ukko ausmachen wie auch die großen
Inseln Levia und Hoikka Petäjäsaari. Hier in 340 Meter
Höhe ein weiterer Höhe-Punkt meiner diesjährigen Tour!
Vierzehnter
Tag
Mit dem Ende
meiner Radtour ist auch der Sommer in Lappland zu Ende.
Waren es die letzten Wochen meist 25 bis 30 Grad, so sackt
heute die Temperatur auf 10 Grad! Dazu regnet es
ununterbrochen. Eine große Depression macht sich im
Kirchdorf breit.
Meine
Toursiegesfeier findet im Hotelli statt. Ich sitze in einer
Nikotinqualmwolke, der Regen prasselt an die Scheiben. Froh
bin ich darüber, keine Kilometer mehr machen zu müssen.
Einen Pokal gefüllt mit Champagner gibt es nicht,
statt dessen ein Bier aus 'nem Plastikglas. Ich proste mir
selbst zu. Der Fuß schmerzt zwar noch immer, aber dennoch habe
ich mein mir gestecktes Ziel geschafft! Es war eine beeindruckende Fahrt
durch eine der wenigen wirklichen Naturlandschaften Europas!
Es fehlten
zwar nur
etwa 30 Kilometer an der finnisch-norwegischen Grenze, die eine komplette
Umrundung ausgemacht hätten - allerdings in einem sumpfigen
Gebiet ohne Straßen
und Wege.
Aber das ist der Stoff für
eine neue Lapplandreise!
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Das Ziel ist erreicht. Ich stehe mit dem Rad nach ziemlich
genau 600 Kilometern Gesamtstrecke am Paatsjoki. (Foto: Nikolay
Kashulin)
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Das
Tour-Fahrrad |
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Die Basis bildete ein
kleiner Trapezrahmen aus leichtem Aluminium. Das
Schaltwerk war ein Alivio-8-Gang von Shimano, das auf
der Tour ohne Probleme arbeitete.
Bei den Reifen
wurden Schwalbe Marathon Plus verwendet. So hatte ich keine
Reifenpanne unterwegs!
Das Beste war die
Hydraulik-Felgenbremse von MAGURA, Typ HS33. Bei jedem
Wetter und jeder Geschwindigkeit funktionierte sie
bestens! Als "Notbremse" war vorne eine
Shimano V-Brake verbaut.
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Autor:
Th.
Bujack |
Veröffentlichung und Verbreitung nur mit
Einverständnis des Autors!
Alle
Rechte bei der NORDLANDSEITE, 2005
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